Für den Fall, dass ich Payola erst mal erklären muss (könnte ja eine kulturhistorische Referenz sein, die generationsspezifisch codiert ist): Der Begriff, ein Kofferwort aus “pay” und der Nachsilbe “-ola”, die ihrerseits aus dem Namen des nach Münzeinwurf vorgestanzte Melodien spielenden Pianola entliehen wurde, bezeichnete die (in vielen Ländern illegale) Praxis, dass Musikverlage die Radiodiskjockeys (ist das noch ein gebräuchlicher Begriff?) dafür bezahlten = bestachen, bestimmte Musiktitel bevorzugt zu spielen und dadurch sowohl die Nachfrage als auch die Hitparaden-Platzierungen, die beide natürlich miteinander verwoben waren und immer noch sind, zu steigern. Die Analogie hier ist, dass es um bezahlte Publikationen geht, die sehr häufig unter dem Rubrum des “Open Access” zu finden sind.
Und wie schon bei Payola, ist es bei diesem “pay-to-publish”-Modell nicht immer ganz klar, wo die Grenze verläuft zwischen einer begreiflichen Notwendigkeit der Verleger, sich für die mit einer Veröffentlichung verbundenen Dienstleistungen (redaktionelle Bearbeitung, Peer Review, Verwaltungsaufwand, und in Fällen gedruckter Journale auch die Herstellungskosten) bezahlen zu lassen, und dem unlauteren Angebot, wissenschaftlich minderwertige Texte durch erkaufte Veröffentlichung aufzuwerten. Über diese dunkle Seite von Open Access hatte ich schon vor Jahren zum ersten Mal in meinem Blog geschrieben; das Problem zeigte sich auch noch einmal ganz konkret und in all seinen Facetten, als es um die berüchtigte Schokoladendiätstudie ging…
“Fake News” ist ein – in seiner Tragweite beinahe unerträglich gewordenes – Schlagwort unserer Zeit. Und irgendwie möchte man ja die Hoffnung wahren, dass mehr Wissenschaft (oder zumindest die Adaption von systematischer Sorgfalt nach dem Vorbild der wissenschaftlichen Methode bei der Recherche) ein hilfreiches Gegenmittel gegen diesen post- und antifaktschen Umgang mit Tatsachen sein könnte. Aber der Trend zu Fake News hat sich in der Wissenschaft ebenso verschärft wie in den “normalen” Medien auch: Laut einer Analyse, die (Achtung, ungewollte Ironie!) im britischen Open-Access-Journal BMC Medicine veröffentlicht wurde, ist die Zahl der in unseriösen, Wissenschaftlichkeit vorgaukelnden Journalen veröffentlichten Beiträge von rund 53.000 im Jahr 2010 auf mehr als 420.000 im Jahr 2014 geklettert; wenn dieser Trend sich nur linear fortgesetzt hätte (neuere Zahlen gibt es nicht – aber auch keine echten Hinweise darauf, dass diesem Treiben in nachhaltiger Weise Einhalt geboten wurde), läge diese Zahl heute in einer Größenordnung von 700.000 Artikeln…
Das Magazin New Yorker hat sich in seiner aktuellen Ausgabe mit diesem Thema befasst: “Paging Dr. Fraud”: The Fake Publishers That Are Ruining Science. Und es ist verlockend, sich bei der Lektüre mit einer gewissen Schadenfreude auf die unvermeidlichen Schenkelklopfer zu konzentrieren: dass ein Beitrag, der ausschließlich aus den unermüdlich wiederholten Worten Get me off your fucking mailing list bestand, von so einem Fake-Journal (gegen eine satte Gebühr, versteht sich) tatsächlich veröffentlicht wurde. Oder dass es Maggie, dem jüngsten (und generell sprachlosen) Mitglied der Simpson-Familie gelungen ist, gemeinsam mit der (fiktiven) Springfield-Grundschullehrerin Edna Krabappel, gemeinsam mit einem völlig fiktiven Kim Jong Fun, ein Paper über “Fuzzy”, Homogeneous Configurations in gleich zwei Publikationen unterzubringen, dem Journal of Computational Intelligence and Electronic Systems und dem Aperito Journal of Nanoscience Technology unterzubringen – obwohl dieser Artikel kompletter Nonsens ist, den ein speziell auf die Produktion von solchem akademischen Geschwafel programmierter Bot namens SCIgen verfasst hatte. (All diese Fake-Science-Newsartikel sind inzwischen natürlich gelöscht – die Journale bestehen aber unbehelligt von dieser scheinbaren Schmach weiter.)
Das klingt alles nach einer Riesengaudi, und passt durchaus zu den Traditionen ernsthafter Publikationen, den einen oder anderen Scherzartikel einzubauen – die ja durchaus eine nützliche Funktion haben können, da sie die Wahrnehmung der RedakteurInnen ebenso wie der Leserinnen und Leser für Unsinn im seriösen Gewand schärfen. Doch das Lachen vergeht einem, wenn man liest, wie solche Publikationen auf die Bewerbung einer – ebenso unqualifizierten wie fiktiven – jungen Forscherin für die Rolle einer Redakteurin reagierten: Diese absolut suspekte Bewerbung war an insgesamt 360 Journale geschickt worden – jeweils ein Drittel an anerkannte Abonnements-Journale, an anerkannte (und respektierte) Open-Access-Journale mit anerkannten Qualitätskriterien, und ein letztes Drittel an ein Sortiment von dubiosen “Payola”-Publikationen. Dass immerhin 40, also wiederum ein Drittel, dieser dubiosen Titel nicht nur sehr schnell und erfreut auf die Bewerbung reagiert hat und manche gleich so überschwänglich waren, der fiktiven Bewerberin (deren Name, aus dem Polnischen übersetzt, “Gauner” bedeutet) die Position als Chefredakteurin anzubieten, ist dabei weniger Besorgnis erregend, als das Resultat, dass auch acht (!) als seriös anerkannte Open-Access-Publikationen diese Bewerbung gut genug fanden, um der unbekannten Assistenzprofessorin namens Anna O. Szust zur redaktionellen Mitarbeit einzuladen. Details dieser Aktion – allerdings nicht die Titel dieser diskreditierten Journale – sind hier in nature nachzulesen.
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