Ich wünschte, ich könnte nun einleitend erklären, dass der Titel dieses Beitrags irgendwie sarkastisch, ironisch oder satirisch gemeint wäre. Aber nein, unter der Maßgabe, dass der amtierende US-Präsident die exekutive Macht – also jene Macht, die tatsächliches Handeln anordnen kann – in den USA verkörpert, und unter Berücksichtigung seiner Erklärung, dass zum Schutz gegen weitere tödliche Schießereien an amerikanischen Bildungsstätten künftig Lehrer bewaffnet werden sollen, ist dies eine sehr konkrete Anweisung an mich, in meiner Rolle als Hochschullehrer, gegebenenfalls tödliche Gewalt anzuwenden. In seinen Worten sollte ich “sofort zurückschießen, wenn ein wilder Irrer mit bösen Absichten in die Schule kommt.” Die US-Waffenlobby, sprich die National Rifle Association (die kriegt keinen Link von mir, ist zu ekelhaft), pflichtet dem natürlich sofort und uneingeschränkt bei.
Also fange ich an zu denken: Betrifft mich das? Traurige Antwort: Ja. In den sieben Jahren, seitdem ich an einer US-Hochschule unterrichte, gab es 45 Schießereien an US-Colleges und -Universitäten; Blutbäder sind hier kaum weniger wahrscheinlich als an Grund– und Oberschulen. (Die Angst vor Amokläufern ist ja der explizite Grund, warum einige Waffenfanatiker das Tragen von Waffen auf Hochschulanlagen auf breiter Basis legalisiert sehen wollen.)
Okay, aber meint der US-Präsident wirklich mich? Er war ja schnell zurückgerudert und hatte behauptet, er habe nur speziell ausgebildete Lehrer, idealer Weise mit Militärerfahrung, mit seinem Vorschlag gemeint. Nun, ich habe meinen Wehrdienst – und der schloss eine Ausbildung mit Schusswaffen ein – absolviert, falle daher wohl in diese Kategorie.
Und nachdem wir jetzt etabliert haben, das – jawohl – ich in die Gruppe der Lehrer falle, die nach den WahnWunschvorstellungen der Waffenfanatiker in Zukunft eine Lizenz zum Töten haben sollen, muss ich mir natürlich Gedanken machen, wann ich wen erschießen muss, um diesem Auftrag gerecht zu werden.
Das ist gar nicht so einfach: Ist das Ziel, einen Amoklauf zu verhindern, also den Amokläufer schon zu erschießen, ehe er selbst auch nur ein Opfer töten kann? So klingt ja die oben verlinkte Twitterphantasie aus dem orangefarbenen Weißen Haus, und genau so tönen all die Waffentrolle in den sozialen Medien, die offenbar ihre mörderischen Fantasien hier einbringen und ausleben wollen. Zu erschießen wären demnach “savage sickos” – “wilde Irre” (man kann auch sagen “kranke Bestien”) – sobald sie das Schulgelände betreten. Aber woran erkenne ich die? Ich bin ja ein Psychologe oder Psychiater, und die Diagnose “savage sicko” ist nicht sehr präzise. Wenn ich am MIT jeden Studenten (wir nehmen die Studentinnen mal vorsorglich aus – Frauen sind tatsächlich unter den Amokläufern unterrepräsentiert) erschießen wollte, der sich merkwürdig benimmt, würde die Population drastisch reduziert. (Und aus “teilnehmender Beobachtung” an der High School meines Sohnes könnte ich zumindest anekdotisch ergänzen, dass Verhaltensauffälligkeiten dort ebenso typisch sind.)
Vielleicht ist ja das Tragen einer Waffe ein ausreichendes Indiz? Muss man nicht schon ziemlich krank sein, wenn man mit einer Knarre zur Schule kommt? Das kann’s auch nicht sein, denn sowohl die NRA als auch der Präsident vertreten uneingeschränkt die Auffassung, dass a) das Grundrecht auf Waffenbesitz jedes andere Recht übertrifft und daher b) noch nicht mal eine nachgewiesene psychische Krankheit ein Grund wäre, diesen Waffenbesitz einzuschränken. Nr. 45 hatte eine entsprechende Verordnung der Obama-Regierung ziemlich genau ein Jahr vor dem High-School-Massakder von Parkland, Florida, eigenhändig kassiert.
Fassen wir also zusammen: Es ist im Voraus jedenfalls nicht erkennbar, wer ein Amokläufer sein wird. Ich müsste also auf puren Verdacht hin Leute erschießen – was vermutlich, wenn man sich die Jurisdiktion bei tödlichem Polizei-Schusswaffengebrauch ansieht, als akzeptabel gelten würde. Aber es würde dem Ziel nicht gerecht, tödliche Schießereien an Schulen zu verhindern, im Gegenteil: Dieser “Plan” bedingt geradezu, dass Menschen erschossen werden.
Doch was wäre, wenn ich erst mal warte, bis jemand rumballert? Dann jedenfalls wüsste ich doch, dass ein Killer unterwegs ist, nicht wahr? Und wenigstens könnte ich den dann davon abhalten, noch mehr Menschen umzubringen, oder? Wem das plausibel klingt, der/die möge mir doch bitte ganz schnell erklären, welchen Wert sie/er den Menschenleben zumisst, die dabei unbedingt erst mal ausgelöscht würden – denn dieser Denkansatz funktioniert nur, wenn man bereit ist, diesen Verlust von Menschenleben hinzunehmen. (Für all jene, die nun sagen, ich müsse halt schneller sein als der Amokschütze und ihn abknallen, bevor er jemanden umbringen kann: Ihr habt die vorausgegangenen Absätze nicht gelesen, nehme ich an?)
Doch selbst wenn Schüsse fallen, weiß ich ja nicht, woher sie kommen und ob der Schütze mörderische Absichten hat. Siehe folgendes (und erschreckendes) Beispiel:
Selbst Fachleute wie Polizisten wissen oft nicht, wo genau solche Schüsse herkommen. Die Sache wir dadurch erschwert, dass ich ja nicht der einzige Bewaffnete wäre – und wie sollen andere Lehrer-Milizionäre wissen, wenn sie mich dabei beobachten, wie ich den Amokschützen niederstrecke, das ich nicht der Amokschütze bin?
Das in diesem Fall unvermeidliche Szenario, in dem schon beim ersten (und nicht selten falschen Alarm) bewaffnete Lehrer-Milizionäre mit gezückten Pistolen durch die Flure rennen und auf jeden schießen, der eine Waffe in der Hand hält, wäre mit großer Sicherheit blutiger und würde sich häufiger ereignen als alle bekannten Amokläufe.
Und hier kommen wir nun zum letzten Punkt: Die Annahme, dass ein an der Schusswaffe ausgebildeter “Experte” nie daneben trifft, ist absurd bis jenseits der Lachhaftigkeit. Die New Yorker Polizei hat sicher die am besten ausgebildeten Leute – und doch schießen sie im Einsatz weit häufiger daneben, als sie treffen: Selbst wenn ihr “Ziel” in weniger als zwei Metern Entfernung vor ihnen steht, gehen 57 Prozent der Schüsse daneben; eine realistische Trefferquote im Einsatz liegt bei etwa 20 Prozent. Mehr muss man gar nicht sagen, um all das dumme und blutrünstige Geschwätz von “der beste Schutz vor einem bösen Menschen mit einer Waffe ist ein guter Mensch mit einer Waffe” als absurde Allmachtsphantasie zu entlarven.
Und wie schon gesagt, aber nochmal ganz deutlich: Alle Szenarien bedingen, dass mindestens eine Person erschossen wird. Blutvergießen an Schulen wird damit zur Norm. Und nein, eine abschreckende Wirkung hätte die Sache absolut nicht: De meisten Amokschützen nehmen den eigenen Tod in Kauf oder fordern ihn sogar heraus; nicht selten töten sie sich selbst. Welche abschreckende Wirkung hätte es da wohl, dass sie erschossen werden könnten?
Natürlich werde ich mich nicht bewaffnen, und ich kenne auch niemanden im Kreis meiner Kolleginnen und Kollegen, der/die dies tun würde. Aber es ist auf traurige Weis bizarr, dass man solche Argumente überhaupt durchdenken muss. Aber was will man andererseits von jemandem erwarten, der selbst für die einfachsten menschlichen Reaktionen einen Spickzettel braucht?
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