Dass Bienen mit der Zahl Null umgehen können, wie der Artikel Numerical ordering of zero in honey bees in der aktuellen Ausgabe des US-Wissenschaftsmagazins science zu belegen versucht (ich bin da mal vorsichtig in der Formulierung – warum, das erkläre ich gleich), ist an sich schon ein paar Betrachtungen wert. Aber nicht nur, weil Bienen offenbar etwas bewältigen können, was ihre intellektuellen Fähigkeiten eigentlich überschreitet, sondern auch, weil es einen Anlass dazu bietet, mal über die Bedeutung der Zahl Null nachzudenken. Und die ist nicht so simpel, wie es uns aus dem Rechenunterricht vielleicht in Erinnerung ist.
Erst mal zu den Gründen meiner Vorsicht: Der Artikel in science benutzt ein paar kognitiv aufgeladene Begriffe, wie “verstehen” (understanding) und “Konzept” (conzept). Und in der faktischen Beobachtung des Bienenverhaltens (das nun bestimmt gleich erklärt wird, ich versprech’s) ist das auch verlockend, da sich die Bienen eben so benehmen, als ob sie das Konzept der Zahl Null verstanden hätten. Aber da habe ich so meine Zweifel, vor allem aus meinen Erfahrungen mit dem, was man so gemeinhin “Künstliche Intelligenz” (und das “Verstehen” von “Konzepten” durch selbige) bezeichnen würde – aber auch aus meiner eigenen menschlichen Natur heraus.
Erst mal zu den Fakten: Für das Experiment wurden Honigbienen darauf trainiert, aus einer Auswahl von Karten, auf denen jeweils unterschiedliche Mengen von Symbolen abgebildet waren, diejenige mit dem meisten (eine Gruppe von Bienen) oder den wenigsten (eine andere Gruppe der Bienen) anzufliegen. Die Größe der Symbole wurde dabei übrigens variiert, um den Faktor Fläche (der sich, im Aggregat, auch als durchschnittlicher Farbton der Kartenfläche manifestieren könnte) als Signal auszuschließen. Bienen, die auf “mehr” trainiert sollten, wurden mit Zuckerwasser belohnt, wenn sie die Karten mit den meisten abgebildeten Symbolen auswählten; Bienen, die “weniger” lernen sollten, erhielten diese Belohnung, wenn sie die Karte mit der geringsten Anzahl von Symbolen wählten. Die Experimente klappten in dem Sinn, dass die Bienen diese Aufgaben mit weit besser als zufälligen Ergebnissen erfüllten. So weit, so gut…
Die maßgebliche Frage war aber, ob diese Bienen auch in der Lage wären, eine leere Karte in diesem Experiment in die korrekte numerische Reihenfolge einzuordnen. Mit anderen Worten: Würden sie die Nullmenge als “kleiner als” alle anderen Mengen erkennen? Und in der Tat, auch diese Ergebnisse waren (mit einer Trefferquote von bis zu 75 Prozent) signifikant und bestätigen, dass diese Bienen “wussten”, dass Null weniger als Eins und Zwei und Drei undsoweiter ist.
Doch ich reibe mich, wie gesagt, an dem anthropomorphen Begriff des “Verstehens”. Allein schon deshalb, weil wir Menschen selbst ja erhebliche Probleme damit haben, Null als eine Zahl zu “verstehen”. Das science-Paper (und das übernehme ich jetzt mal ungeprüft) erklärt, dass Kinder im Schnitt erst ab vier Jahren in der Lage sind, die Bedeutung der Null zu kapieren – und das ist, kognitiv gesprochen, schon eine arg hohe Latte. Wer sich das römische Zahlensystem anschaut, wird bemerkt haben, dass es dort kein Symbol für Null gibt; man könnte also meinen, dass die Römer kognitiv noch nicht mal das Niveau eines modernen Kleinkindes erreicht haben.
Aber so einfach ist das ja nicht. Ist null, oder eher umgangssprachlich “nichts”, wirklich eine Mengenangabe? Sicher, es gibt die “leere Menge” in der Mengenlehre. Aber woher weiß ich, dass es beispielsweise wirklich “null Äpfel” sind? Sind es dann nicht auch gleichzeitig “null Birnen”, “null Bananen”, “null Videospiele” oder “null BloggerInnen”? Wie kann ich diese quantitative Eigenschaft – die bei allen anderen positiven Mengen eines Objekts (ein halber Apfel, ein ganzer Apfel, 45,33 Äpfel etc.) ja durchaus nachvollziehbar ist – einem bestimmten Objekt zuordnen? Wenn doch auch noch eine praktisch unendliche Menge anderer Objekte in diesem Fall ebenso abwesend sein muss? Solange wir uns die Sache als Ergebnis eines Vergleichs (die Frage, in welchem Korb beispielsweise weniger Äpfel sind, erlaubt uns, den leeren Korb als den mit “null Äpfeln” zu identifizieren) oder einer simplen Subtraktion (ich habe zehn Äpfel und nehme davon zehn Äpfel weg, also habe ich null Äpfel übrig) vorstellen, ist die Sache noch klar. Aber was ist, wenn wir nur die “leere Menge” sehen? Wenn wir also gar nicht wussten, was weggenommen wurde? Haben wir dann immer noch ein brauchbares “Mengen-Konzept” für Null? Und wie wird das erst, wenn der Korb gar nicht leer ist, sondern noch eine konkrete Menge an Birnen, Pfirsichen und Bananen enthält – aber eben auch “null Äpfel”? Wenn also diese Menge Null durch andere Objekte überlagert wird?
Selbst mathematisch ist die Null keineswegs “natürlich”: Ob sie zu den natürlichen Zahlen eingeordnet wird oder nicht, hängt davon ab, ob mal natürliche Zahlen als die “Menge aller positiven ganzen Zahlen” (dann ist die Null nicht dabei) oder als die “Menge alles nicht negativen ganzen Zahlen” (hier ist die Null eingeschlossen) definiert. Und das ist keineswegs eindeutig geregelt. Die Römer kannten die Null als Zahl (und Ziffer) nicht; in Europa ist sie überhaupt erst seit dem Mittelalter gebräuchlich.
Das alles geht mir durch den Kopf, wenn ich lese, dass Bienen die Null “verstanden” haben. Und da bleibe ich skeptisch. Aber dass sie erkennen können, dass nichts von etwas weniger als etwas ist, bleibt bemerkens- und beachtenswert. Vor allem, weil sie dies mit der vermeintlich primitiven organischen Struktur eines Insektengehirns vollbringen können, was uns sicher Anlass gibt, über die Komplexität dessen nachzudenken, was Neuronen leisten können. Vor allem, weil ich zunehmend davon frustriert bin, wie wenig Komplexes eine bemerkenswert große Anzahl von Gehirnen (viele davon in PolitikerInnen-Köpfen) derzeit zu bewältigen scheinen. Aber wie heißt es doch mathematisch so treffend: Wenn Nullen etwas gelten wollen, dann müssen sie sich rechts halten…
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