In seinem Blog WeiterGen hat Tobias Mayer eine Einschätzung des 289-Millionen-Dollar-Urteils gegen Bayer mit uns geteilt. Ich würde dem gerne noch ein paar weitere Betrachtungen hinzufügen – die allerdings nicht immer mit Tobias’ Einschätzung einhergehen werden.
Fangen wir mal mit der Frage an, ob das Urteil “gerecht” ist – ob es also eine Verantwortung auf Seiten von Monsanto (dem Hersteller von Roundup, der seit etwa zwei Monaten zum Bayer-Konzern gehört) gibt. Tobias verweist hier auf die folgende Studie, als Beleg dafür, dass Glyphosat keinen Krebs verursacht: Glyphosate Use and Cancer Incidence in the Agricultural Health Study (veröffentlicht im Journal of the National Cancer Institute). Und da steht tatsächlich, dass es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Tumorbildung und Lymphomen aller Art gibt. Aber ein kompletter “Freispruch” ist es trotzdem nicht: There was some evidence of increased risk of AML (= Akute myeloische Leukämie) among the highest exposed group that requires confirmation, steht da. Und das mag, rein wissenschaftlich, gaaanz weit davon entfernt sein, irgendetwas zu belegen – es ist aber auch nicht der komplette Nachweis der Unbedenklichkeit. Als Hersteller würde ich mir da schon Gedanken machen müssen, ob daraus eventuelle Haftungsansprüche entstehen könnten…
Aber selbst wenn Glyphosat an sich als nicht-karzinogen einzuschätzen ist, so heißt das ja nicht, dass die Glyphosat-haltigen Produkte unbedenklich sind. An dieser Stelle will ich mal auf die Einschätzung der European Food Safety Authority verweisen, die zwar für die Wiederzulassung von Glyphosat in Europa sicher mit entscheidend war, aber dennoch nicht ohne Warnung kam:
…some studies suggest that certain glyphosate-based formulations may be genotoxic (i.e. damaging to DNA), others that look solely at the active substance glyphosate do not show this effect. It is likely, therefore, that the genotoxic effects observed in some glyphosate-based formulations are related to the other constituents or “co-formulants”. Similarly, certain glyphosate-based formulations display higher toxicity than that of the active ingredient, presumably because of the presence of co-formulants. (Quelle)
Mit anderen Worten: Glyphosat selbst mag, bei angemessener Dosierung, unbedenklich hinsichtlich seiner karzinogenen Wirkung sein – aber offenbar wird im Herstellungsprozess der Glyphosat-haltigen Produkte etwas beigemengt, was gesundheitlich dann eben nicht mehr unbedenklich ist. Will heißen: Das Problem ist möglicherweise nicht der Wirkstoff selbst, sondern die Kombination von Substanzen, die dann das kommerzielle Produkt ausmachen…
Wer sich das Formular mit den Fragen anschaut, die von den Geschworenen in San Francisco im Fall Dewayne Johnson vs. Monsanto zur Urteilsfindung zu beantworten waren, wird feststellen, dass diese eben nicht einfach nur zu entscheiden hatten, ob Dewayne Johnsons Leukämie eindeutig durch den Gebrauch von Glyphosat verursacht wurde, sondern vor allem auch ob es eventuelle Risiken gab, vor denen Monsanto besser hätte warnen müssen (und das schließt, wie die Fragen zeigen, auch das Risiko des unsachgemäßen Gebrauchs ein). Das ist ebenfalls alles nicht neu: Produkthaftung in den USA geht sehr weit und begrenzt sich nicht nur darauf, dass man den Anweisungen der Hersteller exakt und unbedingt folgt.
Wer Lust hat, sich durch das Material zu arbeiten, das im Prozess vorgelegt wurde, kann dies hier auf der Webseite von Johnsons Anwaltsfirma tun. Man kann den Geschworenen jedenfalls nicht vorwerfen, allein “aus dem Bauch heraus” entschieden zu haben.
Aber vor allem wird Monsanto zur Last gelegt, nicht ausreichend vor den Risiken – selbst wenn sie gering waren – gewarnt zu haben. Und dafür – nicht für Johnsons Krebserkrankung – wurde ihnen, wie in den USA üblich, die größte Strafsumme aufgebrummt: 250 Millionen Dollar. Aber dieses Risiko war den Anwälten und dem Management (die ja nicht das erste Mal mit solchen Fällen konfrontiert wurden – Tobias hat in seinem Beitrag ja schon auf die Klagen wegen Vioxx und Lipobay hingewiesen) sicher längst bekannt. Dass sie es trotzdem auf den Prozess ankommen ließen, war eigentlich ein (aus Anlegersicht) unverantwortliches Vabanque-Spiel – vor allem, weil es dadurch natürlich zu einer Präzedenz-Entscheidung kam, die nun in nicht unerheblicher Weise die Beweislast zu Ungunsten von Monsanto/Bayer verschoben hat. Und dafür wurde der Konzern, nach meiner Auffassung, von den Investoren bestraft.
Ich nehme jetzt schon mal das Argument vorweg, das ich mit meinem vorangegangenen Absatz provozieren dürfte: Hätte Monsanto also gegenüber dem Kläger – auch ohne zwingende wissenschaftliche Belege – einfach zugeben sollen, dass Roundup die Ursache seines Krebses war? Wäre das nicht eine Einladung zur Erpressung?
Darauf gibt es wiederum mehrere Antworten: Erstens sieht das US-Recht durchaus die Möglichkeit vor, eine Haftung zu übernehmen, ohne dabei eine Schuld oder Urheberschaft zuzugeben (das geht sogar im Strafrecht, mit einem so genannten Alford-Plädoyer). Zweitens hat der Kläger nicht mal einfach so, auf die schnelle und weil’s so leicht ist, einen Prozess angestrengt – der Mann hat Krebs (und vermutlich, wie es in den USA üblich ist, keine oder nur eine lausige Krankenversicherung). Seine Klage ist also keineswegs “frivol”, wie man gerne sagt (und wie es für diesen alten Fall sicher zutreffend wäre). Und selbst wenn Monsanto den Prozess gewonnen hätte, würde die Firma schlecht da stehen – wenn ein Milliardenkonzern gegen einen todkranken Hausmeister obsiegt, wird er in der Öffentlichkeit wenig Beifall gewinnen.
Denn das ist letztlich das Problem: Es geht hier doch gar nicht um die Klärung einer wissenschaftlichen Frage, sondern um Öffentlichkeit. Monsanto hat sich, allem Anschein nach, nicht um der wissenschaftlichen Integrität willen gegen die Klage gewehrt, sondern weil selbst ein minimales Eingeständnis der möglichen Fehlbarkeit vermieden werden sollte. Und zwar nicht, wie schon gesagt, weil dies das Ansehen seiner Forscher schädigen würde, sondern weil man ein erfolgreiches Marktprodukt schützen wollte. Und das ist ein Karren, vor den sich die Wissenschaft nicht einfach spannen lassen sollte, wie ich hier schon mal argumentiert habe.
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