Karten und Atlanten – Definition 2-dimensionaler Mannigfaltigkeiten.
Was bedeutet es, daß ein topologischer Raum ein-, zwei- oder drei-dimensional ist?
Man wird sagen, daß ein Raum (wie die Sphäre, auf der wir leben) zweidimensional ist, wenn er sich komplett durch 2-dimensionale Karten abbilden läßt. Die Erdkugel (genauer: ihr Rand) läßt sich zum Beispiel durch 2 zwei-dimensionale Karten überdecken:
Das Bild ist ein Beispiel einer Karte für die gesamte Sphäre mit Ausnahme des Nordpols. Sie entsteht dadurch, daß man vom Nordpol aus auf eine am Südpol angebrachte Ebene projiziert. Jeder Punkt der Sphäre (mit Ausnahme des Nordpols) entspricht einem eindeutigen Punkt der Ebene. Die Abbildung ist stetig, ebenso wie die Umkehrabbildung von der Ebene auf die Sphäre. Diese Projektion heißt übrigens stereographische Projektion und wird weniger in der Geographie als, laut Wikipedia, ‘in der Astronomie (Sternkarten, Planeten), in der Geodäsie und Navigation (winkeltreue Karten) und in der Geophysik (Verteilung von Kräften oder Linienstrukturen auf der Erdkugel)’ verwendet.
Genauso kann man auch vom Südpol aus auf eine am Nordpol angebrachte Ebene projizieren. Damit haben wir jetzt zwei Karten, die bereits die ganze Sphäre überdecken.
Im folgenden werden wir den Begriff von Flächen (in der Mathematik sagt man: 2-dimensionalen Mannigfaltigkeiten) so formalisieren, daß Flächen sich durch 2-dimensionale Karten überdecken lassen.
Jeder kennt die eindimensionale Gerade der reellen Zahlen R.
Die zweidimensionale Ebene faßt man seit Descartes auf als Menge von Zahlenpaaren (x,y). In der Mathematik bezeichnet man diese Menge als R2. Der Abstand zwischen zwei Punkten (x,y) und (u,v) läßt sich nach dem Satz des Pythagoras berechnen als Quadratwurzel aus (x-u)2+(y-v)2.
In Teil 9 hatten wir in präzisen Begriffen formalisiert, daß eine Abbildung ein Homöomorphismus ist (d.h. die topologische ‘Form’ erhält), wenn sie nichts auseinanderreißt, aber auch nichts zusammenklebt.
Eine 1-dimensionale Mannigfaltigkeit ist (per Definition) ein topologischer Raum M, den man so in (sich eventuell überschneidende) Teilmengen zerlegen kann, so daß es für jede der Teilmengen einen Homöomorphismus zu einer offenen Teilmenge von R gibt.
Offensichtlich ist R eine 1-dimensionale Mannigfaltigkeit. Auch ein Kreis ist eine 1-dimensionale Mannigfaltigkeit, denn man kann ihn in 2 Mengen zerlegen, die homöomorph zu offenen Teilmengen des R sind. Dagegen ist folgende Kurve keine 1-dimensionale Mannigfaltigkeit, weil man keine Umgebung des Nullpunktes finden kann, die homöomorph zu einer Teilmenge des R ist.
Um pathologische Beispiele zu vermeiden, interessiert sich meist nur für 1-dimensionale Mannigfaltigkeiten, die Hausdorffsch sind und das 2. Abzählbarkeitsaxiom erfüllen. Diese Bedingungen sind aber bei allen ‘in der Natur’ vorkommenden 1-dimensionalen Mannigfaltigkeiten offensichtlich erfüllt.
Mit diesen Bedingungen gibt es neben Gerade und Kreis keine weiteren 1-dimensionalen Mannigfaltigkeiten. Den Beweis findet man z.B. im Anhang von John Milnor’s Topology from the Differential Viewpoint.
Eine Fläche oder 2-dimensionale Mannigfaltigkeit ist nun eine Menge, die man so in (sich eventuell überschneidende) Teilmengen zerlegen kann, so daß es einen für jede der Teilmengen einen Homöomorphismus zu einer offenen Teilmenge von R2 gibt. Die Teilmengen nennt man Karten, weil sie den Landkarten eines Atlas entsprechen.
(Auch hier nimmt man, um pathologische Beispiele auszuschließen, wieder an, daß Flächen Hausdorffsch sind und das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllen.)
Aus einem analogen Grund wie im 1-dimensionalen Beispiel ist folgendes Gebilde (Quelle: https://www.mathematik.uni-kl.de/~pfister/ballzeitung/pics/cayley-cubic.gif) KEINE 2-dimensionale Mannigfaltigkeit.
Weitere Begriffe, die ich in dieser Reihe schon ohne exakte Definition verwendet hatte sind Kompaktheit und Orientierbarkeit.
Kompaktheit. Kompaktheit soll so etwas wie Endlichkeit bedeuten. In dem sehr lesbaren Buch von O’Shea wird erklärt, eine Mannigfaltigkeit wäre kompakt, wenn sie mit endlich vielen Karten überdeckt werden kann. Das trifft zwar ganz gut den Kern, ist aber sachlich nicht korrekt. (Zum Beispiel ist die Ebene nicht kompakt, obwohl sie mit einer einzigen Karte überdeckt werden kann.) Korrekt definiert man für metrische Räume: ein metrischer Raum ist kompakt, wenn er abgeschlossen und beschränkt ist. (Beschränktheit heißt: es gibt einen endlichen Durchmesser D, so daß je zwei Punkte des Raumes immer höchstens Abstand D haben.) Die allgemeine Definition für topologische Räume ist etwas unanschaulich, man findet sie hier.
Zu Orientierbarkeit und allgemeiner zum Thema Links und Rechts in der Mathematik werde ich nächste Woche einen eigenen Artikel schreiben.
Referenz:
Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 , Teil 8, Teil 9
PS: Bei dieser Gelegenheit möchte ich eventuelle Leser (falls sie im Rheinland leben) darauf hinweisen, daß am kommenden Freitag (25.4., 16 Uhr) in Bonn ein auch für Nicht-Mathematiker sehr empfehlenswerter Vortrag von John Morgan stattfindet. Es handelt sich um eine der von der DMV organisierten Gauß-Vorlesungen, die 2x jährlich an wechselnden deutschen Universitäten stattfinden. Ort ist die Wegelerstraße 10 in Bonn (Großer Hörsaal). Thema von John Morgan’s Vortrag ist “The Poincaré Conjecture and the Geometrization of 3-manifolds: Applications of Ricci flow with surgery to the classification of 3-manifolds”, im wesentlichen geht es also um die Klassifikation 3-dimensionaler Mannigfaltigkeiten. Die Vorlesung ‘wendet sich in festlichem Rahmen an eine breitere, mathematisch interessierte akademische Öffentlichkeit’. Angeblich soll bereits das musikalische Rahmenprogramm mit dem Benjamin Himpel Trio für sich genommen die Reise nach Bonn lohnen.
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