Manche meinen, Lechts und Rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum. (Ernst Jandl)
Ältere Leser werden sich vielleicht noch erinnern, daß die Berliner Tageszeitung taz zu Ernst Jandl’s 65. Geburtstag auf der Titelseite alle L und R vertauscht hatte.
Eine gern erzählte Anekdote (deren Richtigkeit ich selbst schon überprüft habe) ist, daß es (jedenfalls mündlich) völlig unmöglich ist, Asiaten (selbst wenn sie perfekt Deutsch sprechen), den Jandl-Spruch zu erklären. (Im Japanischen oder Chinesischen gibt es kein L und R, sondern nur einen Mischlaut aus beiden. Eine detailliertere Diskussion findet man hier.)
Ich will jetzt nicht weiter darauf eingehen, wie man in politischer Hinsicht Links und Rechts verwechseln kann. Dafür gibt es ja genug Beispiele, aktuell fällt einem z.B. Horst Mahler ein.
Mich interessiert hier der topologische Aspekt. In Teil 7 hatten wir ja schon Beispiele von nicht-orientierbaren Flächen gezeigt, allerdings ohne zu definieren, was Orientierbarkeit überhaupt bedeutet.
Sich orientieren zu können, bedeutet gerade, daß man sagen kann, wo rechts und links ist. Dies scheint vielleicht banal. Aber man versetze sich in die Ameise auf dem Bild. Beim Loslaufen weiß sie natürlich noch, was Rechts und Links ist. Wenn sie das Band einmal umlaufen hat, befindet sie sich wieder an derselben Stelle (und blickt in dieselbe Richtung), aber die linke Körperhälfte zeigt jetzt in die ursprünglich rechte Raumrichtung. Die ursprünglichen Beziehungen Links-Rechts sind entgegengesetzt zu den neuen. (Es ergeht der Ameise sozusagen in räumlicher Hinsicht so, wie es Horst Mahler in politischer ergangen ist.)
In der Ebene wissen wir natürlich, wie wir festlegen, daß etwas links und rechts liegt: wenn ich geradeaus blicke und sich etwas in meiner Blickrichtung befindet, dann müssen wir es um 90 Grad im gegen den Uhrzeigersinn (um mich) drehen, damit es sich links von mir befindet.
Eigentlich würde man denken, daß dieselbe Definition (also durch Drehungen mit oder gegen Uhrzeigersinn) auf jeder Fläche Sinn macht. Wenn da nicht das Beispiel mit dem Möbius-Band und der Ameise wäre…
Eine Fläche (Teil 10 ) war ja per Definition überdeckt durch ebene Landkarten. Auf jeder Landkarte ist klar, was man unter einer Drehung im Uhrzeigersinn versteht. Wenn man sich in einem Punkt einer Fläche befindet, würde man sagen, dass eine Drehung (einer kleinen Umgebung) im Uhrzeigersinn ist, wenn dies für die entsprechende Karte gilt. Nun ist es natürlich so, dass Karten sich überlappen, und dass man einen Widerspruch erhielte, wenn die Drehung bezüglich einer Karte im Uhrzeigersinn, und bezüglich einer anderen Karte gegen den Uhrzeigersinn ist.
Eine Fläche bzw. ihr Atlas heisst, per Definition, orientierbar, wenn sich solche Widersprüche eben nicht ergeben. D.h. wenn ein Punkt in mehreren Karten liegt, dann ist eine Drehung (einer kleinen Umgebung) entweder für alle Karten im Uhrzeigersinn, oder für alle Karten gegen den Uhrzeigersinn.
Man kann sich überlegen, dass es auf der Sphäre einen orientierbaren Atlas gibt, auf dem Möbiusband aber nicht. Damit kann man auf der Sphäre auf konsistente Weise Links und Rechts definieren, auf dem Möbiusband aber eben nicht.
Vor 2 Jahren erzählte mir ein Kollege, daß er für Diagonal einen Artikel über ‘Links und Rechts in der Mathematik’ schreiben soll. (Diagonal veröffentlicht in jeder Folge Beiträge aus allen Wissenschaftsbereichen zu jeweils einem Thema. 2006 war das Thema Rechts/Links, letztes Jahr Feuer, in früheren Jahren zum Beispiel Wetter, Jahrtausendwende oder Einfach Schmidt.)
Den Artikel über ‘Links und Rechts in der Mathematik’ kann man hier herunterladen. Unter anderem wird dort Chiralität von Knoten und natürlich auch (viel ausführlicher als oben) Orientierbarkeit von Flächen diskutiert. Auf einem Meta-Level spielen Links und Rechts auch eine Rolle in der Algebra, wenn man linke und rechte Gruppenwirkungen bzw. Links- und Rechtsmoduln unterscheidet. Hierbei ist es zwar beliebig, was man als Links und Rechts festlegt. Aber wenn die Festlegungen einmal getroffen sind, darf man sie dann nicht mehr verwechseln.
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