Wie überzeugt man Kreationisten von der Evolutionstheorie? Ein revolutionärer Vorschlag.

Jeder, der wissenschaftliche Blogs liest, kennt sie: die endlosen Diskussionen mit Kreationisten, Helm-Leugnern oder Zahlenmystikern, in denen es offensichtlich nicht um die jeweiligen Inhalte, sondern um tiefersitzende narzisstische Kränkungen geht.

Und jeder hat sich sicher schon mal gefragt, wie man diese endlosen Diskussionen endlich auflösen kann.

Matthew Nisbet schreibt dazu (frei übersetzt): “Wissenschaftliche Organisationen sollten mit Kommunikationswissenschaftlern darüber zusammenarbeiten, […] wie verschiedene Zuhörerschaften Themen verstehen. Auf dieser Forschung aufbauend kann man Botschaften maßschneidern […] die besser zum Hintergrund einer speziellen Zuhörerschaft passen, und damit ihr Interesse, Vertrauen, Verständnis und Wertschätzung [für die Wissenschaft] vergrößern.”

Das schreibt sich leicht, aber was soll das konkret heißen? Wie soll man amerikanischen Südstaatlern die Evolution nahebringen?

Historisch interessant ist der, zwar nicht religiös aber doch wohl weltanschaulich motivierte, Kampf gegen die Relativitätstheorie angeführt von den Nobelpreisträgern
Lenard und Stark, beide damals berühmte Experimentalphysiker. (Über Stark spotteten Greifswalder Kollegen: Was man nicht verstehen kann, sieht man drum als jüdisch an.) Wikipedia schreibt: “Experimentalphysiker kritisierten die starke Mathematisierung der Relativitätstheorie, insbesondere durch Minkowski, als eine Tendenz zu abstrakter Theoriebildung ohne Konsequenzen für die Physik. Hier wähnten antirelativistische Experimentalphysiker ihre Disziplin in Gefahr. Tatsächlich markiert die Relativitätstheorie wissenschaftshistorisch den Punkt, an dem die Anschauung als Mittel zum physikalischen Verständnis von Naturphänomenen zum ersten Mal grundsätzlich versagte.”

Die Lösung dieses Konflikts war eigentlich recht simpel: Als es klar wurde, daß Relativitätstheorie für das Atombombenprojekt (und auch für andere militärische und zivile Projekte) von Bedeutung war, wurde von politischen Kreisen das “Münchner Religionsgespräch” durchgesetzt, eine Erklärung in der die Richtigkeit der Relativitätstheorie postuliert wurde.
Die Weltherrschaft war dann doch wichtiger als narzißtische Kränkungen “deutscher Physiker”. Die Arbeit am (zum Glück erfolglosen) deutschen Atombombenprojekt konnte beginnen.

Was lernt man daraus für den Umgang mit heutigen Wissenschaftsgegnern? Offenbar braucht man eine reale Motivation, um wissenschaftliche Erkenntnisse trotz damit verbundener narzißtischer Kränkungen zu akzeptieren.

Nur, womit erreicht man Kreationisten? Was interessiert sie? Biologie? Theologie? Die Weltherrschaft? Wohl kaum.

Die Schweizer “Evangelische Fernbibliothek” schreibt über (amerikanische) Kreatonisten: “Die konservativen Protestanten waren in den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts mehrheitlich Privatmenschen. Die Welt und die Politik war für sie das Reich des Bösen. Der Schock, nicht mehr zur Mehrheit, sondern zu einer weltanschaulichen Minderheit zu gehören, wirkte lange nach. […] Die schnelle Veränderung der Welt durch die technologische Entwicklung war den Gläubigen durch ihre Erwerbstätigkeit nicht verborgen geblieben. Die Ansicht, nicht tatenlos alles hinnehmen zu wollen, wuchs. Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann sich eine eigentliche Trendwende in Richtung mehr politisches Bewusstsein abzuzeichnen, vor allem beeinflusst durch den Vormarsch christlicher TV- und Radiostationen.”

Also: es geht nicht um Biologie, Theologie oder die Weltherrschaft. Es geht um den Schock, nicht mehr zur Mehrheit zu gehören.

Nun, dann sollte man doch eben an dieser Stelle ansetzten, um die Evolutionstheorie schmackhaft zu machen.

Zum Beispiel, indem man darauf hinweist, daß sich mittels Evolutionstheorie beweisen läßt, daß sich Religiöse stärker reproduzieren.

Man könnte etwa darauf hinweisen, daß “das bislang rätselhafte Verschwinden der
Neandertaler
gegenüber Sapiens auch mit einer bislang komplexeren Religiosität
und mehr Reproduktionserfolg der letzteren korrelierte.”

Und man könnte mit Hilfe der Evolutionstheorie, natürlich streng wissenschaftlich, folgende Prognose beweisen: “Im Jahr 2020 wird in Deutschland Konfessionslosigkeit vor allem eine Angelegenheit älterer Leute sein. In den jüngeren Generationen gilt Glauben dagegen wieder etwas und eine bunte, sich oft auch durch verbindliche Regeln und Kleidung voneinander abgrenzende Vielfalt an Gemeinden. Neben die (häufig säkularisierten oder zu anderen Gotteshäusern umgebauten) Kirchen früher dominanter Konfessionen sind, in Ringen um die Kernstädte, freikirchliche Neubauten, Moscheen, Synagogen und Tempel getreten, meist mit Kinderbetreuungs- und Schuleinrichtungen kombiniert. Religiöse Vielfalt prägt vor allem deutsche Städte, zunehmend deutsche Kultur und Politik und KandidatInnen suchen das Gespräch mit VertreterInnen aller Weltreligionen. Nur eine Vermutung? Nein, harte Fakten, die sich schon heute andeuten!

Und in dem Zusammenhang könnte man dann auch prognostizieren, daß es im Jahr 2020 homogene Gemeinschaften geben wird, die sich durch einheitliches Wertesystem und einheitliche Kleidung nach außen abgrenzen. (Balsam auf die Seele jedes schlechtgekleideten Fundamentalisten.)

Mit solchen Zukunftsvisionen, bewiesen auf einer streng evolutionstheoretischen Basis, wird dann selbst der härteste Hardliner auf die Evolution umschwenken. (Und die anderen sollten wohl zusehen, daß sie rechtzeitig die Kurve kriegen. 2020 ist ja schließlich schon in 12 Jahren.)

Und wenn man denn unbedingt Recht behalten will, kann man ja gut versteckt zwischen positiven Darstellungen des Darwinismus schon auch noch mal zur Sprache bringen: “Viele religiöse und auch humanistische Menschen wehrten sich zu Recht dagegen, dass säkulare Regimes mit dem Verweis auf Darwin bald auch Kriegszüge, Fremdenhass, Völkermord, Zwangssterilisationen, die Einstellung von Sozialprogrammen und auch Kampagnen gegen die Religionen, besonders der Minderheiten, rechtfertigten.”

Eine geniale Idee, besser als Alan Sokal, ebenso bestechend wie banal.

Kaum zu glauben, daß das noch niemand versucht hat.

PS: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Trotzdem ist nichts erfunden, auch nicht die Zitate.

Zitate (in der Reihenfolge des Erscheinens im Text):
https://scienceblogs.com/framing-science/about.php
https://de.wikipedia.org/wiki/Kritik_an_der_Relativit%C3%A4tstheorie
https://texte.efb.ch/efusa/polit.htm
https://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/Religion_und_Demografie_Leipzig_0507.pdf
https://www.migration-boell.de/web/integration/47_1648.asp
https://religionswissenschaft.twoday.net/20070114/

Kommentare (6)

  1. #1 Fischer
    21. Juli 2008

    Auf was für Ideen du kommst… *kopfschüttel*

  2. #2 Thilo
    21. Juli 2008

    Ja, nicht wahr?
    Völlig absurd.

  3. #3 ohno
    22. Juli 2008

    Watt issene Helm-Leugner?

  4. #5 Thilo
    24. Juli 2008

    Ich bin gefragt worden (per e-Mail), was ERS ist. ERS (Evolutionary Religious Studies) ist ein von der Templeton-Stiftung finanziertes Netzwerk, über dessen “Forschungs”-Aktivitäten man sich auf https://evolution.binghamton.edu/religion/ informieren kann.
    Über die Templeton-Stiftung, die mit 800 Millionen Dollar Wissenschaft “fördert”, schreibt z.B. https://www.zeit.de/2006/19/templeton1_xml : “Templeton aber organisiert Forschung nicht um der Forschung, sondern um der Wirksamkeit willen. Die Foundation hat einen langen Atem. Das Geld wird ihr nicht ausgehen.” Das wäre vielleicht auch mal ein Thema für einen eigenen Beitrag.

    Außerdem wurde noch gefragt, wer im 3.-letzten Absatz Alan Sokal ist. Sokal ist ein Naturwissenschaftler, der von 12 Jahren einen absurden Artikel in einer geisteswissenschaftlichen Arbeit publizierte, und dies hinterher öffentlich machte, wohl um sich über bestimmte Strömungen der Geisteswissenschaften lustig zu machen. Hier war es als Analogie gemeint zu dem Beispiel, wo sich offenbar jemand unter vorgeblicher Verwendung naturwissenschaftlicher Methoden über die Naturwissenschaften lustig machen will.

  5. #6 Edgar
    27. Juli 2008

    *hüstel* religiöses Reproduktionsverhalten von wurde doch bereits 1983 im Zuge des Forschungsprojekts “The meaning of life” von der britischen Ethnologengruppe Monty Python erforscht 😉

    Für die beeindruckenden Ergebnisse siehe:

    Monty Python – Every Sperm Is Sacred

    Protestant Views on Sex