Pseudowissenschaft in “Chaos, Solitons and Fractals”.
Elsevier ist ein Wissenschaftsverlag, der vor allem für seine exorbitanten Preise berüchtigt ist. (Darüber hatte ich im Zusammenhang mit mathematischen Fachzeitschriften hier schon geschrieben.)
In letzter Zeit ist u.a. durch Z.Skoda und J.Baez eine Diskussion über die Zeitschrift “Chaos, Solitons and Fractals” angestoßen worden. Diese Zeitschrift kostet jährlich 4042 Euro (zum Vergleich: die Annals of Mathematics kosten 290$, also ca. 225 Euro). Weil Elsevier seine Produkte gebündelt (zu etwas günstigeren Preisen) anbietet, sind Universitätsbibliotheken quasi gezwungen, diese Zeitschrift zu abonnieren. (Allerdings hat es mein Fachbereich in Münster offenbar trotzdem geschafft, ein Abonnement dieser Zeitschrift zu vermeiden.)
Problematisch an dieser Zeitschrift ist aber nicht der Preis, sondern einige ihrer Inhalte. Neben normalen wissenschaftlichen Arbeiten finden sich dort in letzter Zeit auch immer mehr pseudowissenschaftliche Texte. Dies hat offensichtlich mit der Person des Chef-Editors Mohamed El Naschie zu tun.
Mohamed El Naschie ist nach eigenen Angaben ein wichtiger Berater der Wissenschaftsministerien in Saudi-Arabien und Ägypten und Honorarprofessor an zwei chinesischen Universitäten. Auf seiner Webseite heißt es: Professor El Naschie was trained initially as an engineer and worked extensively in Structural Engineering and Applied Mechanics. After becoming full Professor of Engineering he followed his inclination towards theoretical subjects and moved first towards Applied Mathematics and later on Nuclear and High Energy Physics. His research interests include: Stability, Bifurcation. Atomic-engineering, Nonlinear Dynamics, Chaos, Fractals, High Energy Particle Physics, Quantum Mechanics and E-infinity theory.
Sein Hauptbeitrag zur Physik scheint eine Theorie der Raum-Zeit als Cantormenge zu sein. (Die Hausdorffdimension der Raum-Zeit soll 4+φ3=4,236.. sein, wobei φ=0,618.. der Goldene Schnitt ist.) Eine (wohlwollende) Zusammenfassung seiner Arbeit findet man hier. (Verfasser ist Ji-Huan He, Chefeditor des International Journal of Nonlinear Sciences and Numerical Simulation.)
Laut Baez soll El Naschie in 322 Veröffentlichungen in “Chaos, Solitons and Fractals” zitiert sein. (Also in der Zeitschrift, deren Chef-Editor er ist.)
In den Mathematical Reviews habe ich 98 Arbeiten von El Naschie gefunden, davon 61 in den letzten 15 Jahren in “Chaos, Solitons and Fractals”. Manche Arbeiten aus “Chaos, Solitons and Fractals” werden in den Math Reviews gar nicht mehr verzeichnet, und die in den Math Reviews aufgeführten neueren Arbeiten von El Naschie werden offenbar systematisch mit dem Kommentar “There will be no review for this item” versehen. (Beim Zentralblatt sind 218 Arbeiten aufgeführt, die aber auch nicht mehr referiert werden). Eine der wenigen älteren referierten Arbeiten ist Notes on superstrings and the infinite sums of Fibonacci and Lucas numbers. aus 2001. Über diese schreibt der Referent: In this paper, the author shows that natural numbers are produced as certain sums of Fibonacci and Lucas numbers. The fact that 26 is generated in this way is used to speculate that these numbers have a relation to heterotic string theory.
Zur Klarstellung: es geht hier nicht einfach um Pseudowissenschaft, die natürlich immer wieder mal irgendwo auftaucht, sondern darum, daß ein Wissenschaftsverlag wie Elsevier eine (ehemals angesehene und sehr teure) Zeitschrift herausgibt, die von vielen Universitätsbibliotheken gekauft wird und in der der Herausgeber offensichtlich seine eigenen absurden Arbeiten veröffentlicht.
John Baez hat sich hier die Mühe gemacht, als Beispiel mal die Arbeit Anomalies free E-infinity from von Neumann’s continuous geometry im Detail auseinanderzunehmen. Wer ein wenig Mathematik versteht, wird seine Analyse sehr amüsant finden. (E-infinity hat übrigens nichts mit E-infinity-Algebren zu tun, sondern ist der Name von El Naschies Theorie.) Die Arbeit wirkt wie Numerologie, und besteht aus Beobachtungen der Art, daß 686 (die Anzahl der 2- und 3- Steinräume, was immer das sein soll, erklärt wird der Begriff nicht) gerade 686=5×137+1 ist, wobei 137 spektakulärerweise gerade der ganzzahlige Anteil des Inversen der Feinstrukturkonstante ist. (Für Nicht-Mathematiker: die Beobachtung ist ungefähr so sinnvoll, als wenn man feststellt, daß Einsteins Geburtsjahr 1879=6×314-5 ist, wobei 314 spektakulärerweise gerade der ganzzahlige Anteil von 100π und 5 die Fingerzahl einer Hand ist.) Ich hatte dazu gestern im Artikel über Radosophie schon etwas geschrieben.
Über möglichen Hintergründe spekuliert Zoran Skoda im n-category cafe:
I contacted one influential Nobel prize winner who knows El Nashchie and told me that he can’t or does not want to do much about it, and this is not a big thing and so on. And I was informed of huge influence of that guy in some middle east countries, what is not an argument which should be cited by a person of Nobel prize standing, and I feel it insulting for the decency of discussion. I do not care if the person is powerful; I care if he is right or wrong.
El Naschie is put in some other editorial boards and put in his editorial board editors of some reciprocal journals. I collected huge number of data on these things, but the publishers, my employer, colleagues etc. consider my effort not worthy of their support though they agree I am right.
[…]
The friendly journal to Chaos etc is the International Journal of Nonlinear Sciences and Numerical Simulation (see
Nebenbei kann man aus der Geschichte auch etwas über die Problematik des Impact-Faktors lernen: “Chaos, Solitons and Fractals” hat einen Impact Factor 3.025, die “befreundete” Zeitschrift “International Journal of Nonlinear Sciences and Numerical Simulation” sogar 4.386. Was offensichtlich daran liegt, daß die Arbeiten in diesen Zeitschriften sich ständig gegenseitig zitieren. (Zum Vergleich: die wichtigsten mathematischen Fachzeitschriften haben IF 1.8 oder weniger.)
Als Beispiel für das Niveau des “International Journal of Nonlinear Sciences and Numerical Simulation” verlinkt Skoda auf eine Arbeit aus dem Jahr 2004
Zum Abschluß noch unfreiwilliger Humor von der IJNSNS-Webseite:
Our Chinese Scientists on Nonlinear Dynamics are in infinite love and admiration to both the man [El Naschie, T.K.] and his science.
El Naschie actually built a bridge between high-energy particle physics on the one side and nonlinear dynamics, complex theory, chaos, and fractals on the other, and he benefits tremendously from cross-fertilization. Treading the path of El Naschie, we gather together to celebrate the century’s greatest scientist after Newton and Einstein, and share his greatest achievement.
As I predicted in “In Search of 9 Hidden Particles?(International Journal of Nonlinear Sciences and Numerical Simulation 6(2),93-94, 2005, https://www.ijnsns.com/naschie-he.pdf) that the experimental verification of his theory will certainly lead to a Nobel prize, which we all expect. It would be a great triumph for non-linear science, chaos and complexity theory.
El Naschie selbst erläutert seine Ideen zur Hochenergiephysik:
(via n-category cafe)
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