Was ist ein Beweis? Die Antwort hängt offenbar davon ab, ob es um Evolutionstheorie oder um Massenvernichtungswaffen im Irak geht.
Für das Thema “Beweise” sind ja eigentlich wir Mathematiker zuständig. Die Notices of the American Mathematical Society haben gerade fast ihr gesamtes Dezember-Heft dem Thema gewidmet, mit vielen interessanten Beispielen und dem Schwerpunkt “Automatisiertes Beweisen”. Ich habe durchaus vor, dazu irgendwann in den nächsten Wochen mal einen Beitrag zu schreiben. Heute soll es aber nur ganz anekdotisch um etwas völlig Unmathematisches gehen: nämlich, wie die unscharfe umgangssprachliche Verwendung des Wortes “Beweis” es ermöglicht, je nach Gemengelage die Bedeutung in diese oder jene Richtung zu verschieben.
Beispiel 1:
Inzwischen haben sie auch Deutschland erreicht: die Diskussionen über die Evolutionstheorie. Aber, wie es sich für das Volk der Dichter und Denker gehört: bei uns wird nicht behauptet, die Evolution hätte irgendwie anders stattgefunden als sie stattgefunden hat. Nein, bei uns wird darüber diskutiert, ob sie bewiesen ist.
Um ein exemplarisches Beispiel herauszugreifen: der “Wissenschaftsphilosoph” Stephan Schleim1 von der Universität Bonn schreibt (als Antwort auf einen Artikel von Sandra Thal):
“Sehr geehrte Frau Thal, kennen Sie den Unterschied zwischen Beweisen und Graden der Bestätigung? Dann wüssten Sie vielleicht, dass erstere zur Sprache von Mathematik und Logik gehören, letztere zur Sprache der empirischen Wissenschaften.
[…]
Sie behaupten, die ET sei falsifizierbar; können Sie mir ein Beispiel dafür nennen, welche (naturwissenschaftliche) Beobachtung sie falsifizieren könnte? Ohne ein plausibles Beispiel angeben zu können, ist die Rede von der Falsifizierbarkeit verfehlt. Ich bin daran wirklich sehr interessiert. Meine Befürchtung (es ist nur eine Befürchtung, da ich noch nicht sehr lange darüber nachgedacht habe) ist hingegen, dass bei jeder Lücke der Verteidiger der ET bloß behaupten würde: Wir haben noch nicht genug geforscht, gebt uns noch etwas mehr Zeit. Karl Popper nannte diese Argumentationsfigur in einem anderen Kontext einmal “Schuldscheinmaterialismus”.”
(Mit ‘ET’ ist die Evolutionstheorie gemeint.)
Das laß ich mal unkommentiert so stehen.
Beispiel 2: (via godplaysdice)
Kanadas Premier Jean Chretien 2003 auf die Frage, was eigentlich ein ausreichender Beweis für Massenvernichtungswaffen im Irak wäre:
“No, a proof is a proof. What kind of a proof? It’s a proof. A proof is a proof, and when you have a good proof, it’s because it’s proven.”
Dazu fällt mir auch nichts mehr ein. Außer daß ich mich frage, warum das Thema an unseren Beweis-Skeptikern vorbeigegangen ist.
1 Wer sich über die Anführungszeichen wundert, lese diesen Text.
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, daß Herr Schleim ähnliche Argumentationsmuster, speziell den ‘Schuldscheinmaterialismus’, auch in anderen Zusammenhängen verwendet, nicht nur wenn es um ‘ET’ geht.
Nachtrag Der angekündigte Beitrag “Was ist ein Beweis?” findet sich hier, 1.2.2009.
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