Ende der Ausschweifungen.

Nach dem wir in den letzten Wochen ziemlich ausschweifend über alle möglichen Anwendungen der Fundamentalgruppe und insbesondere der Fixpunkttheorie auf Preisgleichgewichte, Spieltheorie, Differentialgleichungen und exponentielles Wachstum geschrieben hatten, soll es in den nächsten Folgen wieder um Topologie an sich gehen.

In dieser Reihe geht es ja um die Topologie der Flächen, also das 2-dimensionale Analog zur 3-dimensionalen Poincaré- und Thurston-Vermutung, deren Beweis durch Perelman in den letzten Jahren einiges Aufsehen erregte.

Die Klassifikation der Flächen ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt; sie besagt, daß alle geschlossenen, orientierbaren Flächen durch Ankleben von Henkeln an eine Sphäre entstehen. Das heißt zu jeder Zahl g gibt es eine (geschlossene, orientierbare) Fläche mit g Henkeln.
Im Bild unten: die Sphäre (Fläche mit 0 Henkeln), den Torus (Fläche mit 1 Henkel) und die Brezel (Fläche mit 2 Henkeln).

Eine analoge Klassifikation (geschlossener, orientierbarer) 3-dimensionaler Räume ist natürlich weitaus schwieriger und ihr einfachster Spezialfall wurde unter dem Namen Poincaré-Vermutung bekannt.

Um hier den Bogen von der Klassifikation der Flächen zur Klassifikation 3-dimensionaler Räume (und insbesondere der Poincaré-Vermutung) zu schlagen: es gibt im Prinzip 3 Möglichkeiten, Flächen zu unterscheiden: über die Eulercharakteristik, die Fundamentalgruppe oder mit Hilfe der Differentialgeometrie.

Die Euler-Charakteristik (TvF 3) erhält man, in dem man die Fläche in Vielecke zerlegt, die Ecken E, Kanten K und Flächen F zählt, und dann E-K+F berechnet. Aus der Euler-Charakteristik kann man die Anzahl g der Henkel dann mit der Formel E-K+F=2-2g berechnen.

Die Fläche im Bild unten besteht aus 160 Vierecken, also F=160. Jede Kante gehört zu 2 Flächen, also K=320. Jede Ecke gehört zu 4 Flächen, also E=160. Damit ist E-K+F=0.

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Also g=1, es handelt sich also um eine Fläche mit 1 Henkel, d.h. einen Torus. (Das hätte man hier natürlich auch durch Draufschauen feststellen können. Aber letztlich geht es ja darum, Methoden zu entwickeln, die auch in komplizierteren, höherdimensionalen Räumen funktionieren, wenn die Anschauung versagt.)

Die Berechnung der Euler-Charakteristik bietet also eine Möglichkeit, die Topologie einer Fläche (d.h. die Anzahl der Henkel) zu bestimmen, ohne die Fläche zu verlassen (d.h. ohne von außen auf die Fläche zu schauen).

Es würde naheliegen, dies analog auch auf 3-dimensionale Mannigfaltigkeiten anwenden zu wollen. (Sorry für das kompliziert-klingende Wort, aber in der Mathematik ist 3-dimensionale Mannigfaltigkeit
die übliche Bezeichnung für 3-dimensionale Räume. Entsprechend bezeichnet man Flächen als 2-dimensionale Mannigfaltigkeiten.)

Aber wenn man eine 3-dimensionale Mannigfaltigkeit in Tetraeder zerlegt und dann wieder Ecken E, Kanten K, Flächen F und Tetraeder T zählt, dann bekommt man immer E-K+F-T=0. Man erhält auf diese Weise also keine Unterscheidung zwischen verschedenen 3-dimensionalen Mannigfaltigkeiten. (Und falls man statt E-K+F-T z.B. einfach die Summe E+K+F+T oder irgendeine andere Kombination, meinetwegen E+2K+3F+4T oder so, nehmen würde, dann hätte man gar keine topologische Invariante, weil diese Summen nicht nur von der Mannigfaltigkeit, sondern auch von der speziellen Zerlegung in Tetraeder abhängen. Soll heißen: wenn man dieselbe Mannigfaltigeit auf unterschiedliche Weisen in Tetraeder zerlegt, dann bekommt man z.B. unterschiedlche Werte für E+K+F+T.)

Deshalb braucht man für eine Klassifikation 3-dimensionaler Mannigfaltigkeiten andere Zugänge, nämlich die Fundamentalgruppe und letztlich die Geometrisierung (d.i. eine Methode, Räume in eine besonders regelmäßige Form zu bringen.)

Im Fall der Flächen schießt man mit Fundamentalgruppe oder Geometrisierung natürlich mt Kanonen auf Spatzen, weil die Euler-Charakteristik ja bereits eine einfache Möglichkeit gibt, Flächen topologisch zu unterscheiden und zu klassifizieren. Aber jedenfalls kann man im Beispiel der Flächen die Methoden recht anschaulich verstehen, die dann letztlich im 3-dimensionalen den richtigen Zugang zur Klassifikation 3-dimensionaler Räume geben, und darum (diese Methoden an den einfacheren 2-dimensionalen Beispielen zu erläutern) soll es in den nächsten Wochen gehen.

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