In der Einstein Lecture beschreibt der Physiker Freeman Dyson zwei Typen von Wissenschaftlern.
(Erscheint in den Notices of the American Mathematical Society. Hier als pdf.)
“Some mathematicians are birds, others are frogs. Birds fly high in the air and survey broad vistas of mathematics out to the far horizon. They delight in concepts
that unify our thinking and bring together diverse problems from different parts of the landscape. Frogs live in the mud below and see only the flowers that grow nearby. They delight in the details of particular objects, and they solve problems one at a time.” (Sich selbst bezeichnet Dyson als Frosch. Das Zitat gibt vielleicht nicht ganz wieder, was Dyson tatsächlich meint. Wie aus dem Rest des Artikels klar wird, meint er mit Vögeln vor allem einen abstrakten, Beispiele vernachlässigenden, Stil.)
Als historisches Beispiel führt er zunächst Bacon und Descartes an. Bacons empirischen (“All depends on keeping the eye steadily fixed on the facts of nature”) gegen Descartes deduktiven Zugang (“Ich denke, also bin ich”).
(Man fragt sich, ob Dyson “Die Vermessung der Welt” nicht kannte. Humboldt und Gauß wären ja eigentlich ein noch prägnanteres Beispiel, selbst wenn Gauß natürlich AUCH an Anwendungen interessiert war.)
Laut Dyson sind in den folgenden vier Jahrhunderten englische Wissenschaftler (Faraday, Darwin, Rutherford) Baconisten und französische Wissenschaftler (Pascal, Laplace, Poincaré) Cartesianisten gewesen, während etwa Newton oder Curie das Schema überwanden.
Für die Mathematik des 20. Jahrhunderts hebt er Hilbert und Bourbaki hervor: Hilbert als Vogel, der seine berühmten 23 Probleme aber bewußt für Frösche stellte, und Bourbaki als extreme Ausprägung des Vogel-Typs, der die Blumen (die die Frösche sehen) ganz aus dem Blickfeld ausschließt.
Im folgenden begründet Dyson dann seine Ablehnung des Bourbaki-Stils: “For me, as a Baconian, the main thing missing in the Bourbaki program is the element of surprise. The Bourbaki program tried to make mathematics logical. When I look at the history of mathematics, I see a succession of illogical jumps, improbable coincidences, jokes of nature.” Vier Beispiele (für die ‘jokes of nature’) werden ausführlich besprochen:
– das i in der Schrödinger-Gleichung
– die Linearität der Quantenmechanik (d.h. die Rolle der Darstellungen von Lie-Algebren)
– die Existenz von Quasikristallen
– Ähnlichkeiten zwischen Quasikristallen und Nullstellen der Riemannschen Zeta-Funktion (letzteres wohl recht spekulativ).
Und schließlich werden noch eine Reihe von Beispielen aus Dyson’s wissenschaftlichem Umfeld (auf oft anekdotische Weise) vorgeführt: Besicovitch und von Neumann als Frösche, Weyl, Yang und Manin als Vögel, Chaostheoretiker als Frösche und Stringtheoretiker als Vögel.
Natürlich muß man nicht mit allen Interpretationen einverstanden sein, aber jedenfalls eine sehr kurzweilige Lektüre. (Hier oder im aktuellen Heft der Notices of the American Mathematical Society.)
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