Zum 80. Geburtstag von Milan Kundera.
“Als mich die R. eines Tages aufforderte, insgeheim die astrologische Rubrik ihrer Zeitschrift zu schreiben, war ich selbstverständlich begeistert. Ich empfahl ihr, in der Redaktion zu sagen, beim Verfasser handle es sich um einen bedeutenden Atomphysiker, der seinen Namen nicht preisgeben wolle, aus Furcht, die Kollegen könnten ihn auslachen.
[…]
Gewissermaßen zur Einleitung wurde von mir unter einem Phantasienamen zunächst ein schöner langer Artikel über Astrologie im allgemeinen gedruckt, sodann jeden Monat ein kurzer, ziemlich dummer Text über die Bedeutung des einschlägigen Tierkreiszeichens. Dazu entwarf ich selbst Bildchen des Stieres, des Widders, der Jungfrau, der Fische. Meine Honorare waren nicht der Rede wert, und die Sache als solche war weder spaßig noch bemerkenswert. Erheiternd war dabei lediglich meine Existenz, die Existenz eines aus der Geschichte, den literarischen Handbüchern und dem Telefonbuch ausradierten Mannes, eines toten Mannes, der nun in einer absonderlichen Inkarnation wiedererstanden war, um Hunderttausenden sozialistischer Jugendlicher die hohe Wahrheit der Astrologie zu vermitteln.
Eines Tages eröffnete mir die R., daß der Chefredakteur von seinem Astrologen sehr eingenommen sei und von ihm ein Horoskop erstellt haben wolle.
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Ich wußte gerade über diesen Chefredakteur hinlänglich Bescheid. Nicht nur deshalb, weil er Vorgesetzter der R. war, sondern auch deshalb, weil er jener obersten Kaderkommission der Partei angehört hatte, von der das Leben nicht weniger meiner Freunde ruiniert worden war.
“Er möchte absolute Diskretion gewahrt haben. Ich soll Ihnen nur sein Geburtsdatum nennen, aber Sie dürfen nicht erfahren, daß es sich um ihn handelt.”
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Ich füllte zehn Seiten mit der Beschreibung seines Charakters sowie mit der Schilderung seiner (leicht zu recherchierenden) Vergangenheit und seiner Zukunft.
[…]
Als ich die R. einige Zeit nach der Horoskopablieferung wiedersah, mußten wir herzlich lachen. Sie behauptete, der Chefredakteur habe sich nach der Horoskoplektüre gebessert. Er schreie weniger. Er erachte seine Strenge, vor der ihn das Horoskop gewarnt hatte, nunmehr als bedenklich. Er halte sich inzwischen sogar auf das bißchen Freundlichkeit, derer er fähig sei, einiges zugute. Und er richte seinen Blick oft traurig ins Leere, wie ein Mensch, der verstanden hat, daß die Sterne ihm von nun an nichts als Leiden verheißen.”
Aus: “Dritter Teil: Die Engel” in “Das Buch vom Lachen und vom Vergessen”
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