92% der Deutschen sind für mehr Kontrolle im Internet, 90% der Deutschen sind dagegen.
Zwei Infratest-Umfragen
Ein schönes Beispiel zur Aussagekraft von Meinungsumfragen und Plebisziten kam diese Woche von Infratest Dimap (siehe den Artikel in ZEIT-Online).
Innerhalb weniger Tage (und beide mit derselben Methodik) führte Dimap zwei Meinungs-Umfragen zu Internetsperren kinderpornografischer Inhalte durch.
Bei der einen Umfrage gab es 92% Befürworter, bei der anderen 90% Gegner.
Die Umfragen waren inhaltlich identisch, allerdings etwas unterschiedlich formuliert. Bei der ersten Umfrage wurde gefragt: “Die Bundesregierung plant ein Gesetz zur Sperrung von kinderpornographischen Seiten im Internet. Kritiker befürchten eine Zensur und bezweifeln die Wirksamkeit solcher Sperren. Befürworter betonen dagegen, dass solche Sperren eine sinnvolle und wirksame Maßnahme gegen die Verbreitung solcher Bilder sind. Wie sehen Sie das: Sind Sie für ein Gesetz zur Sperrung kinderpornographischer Seiten im Internet oder dagegen?” Bei der zweiten Umfrage hieß es: “Der Zugang zu Internetseiten mit Kinderpornographie sollte durch eine Sperre erschwert werden, das reicht aus, auch wenn die Seiten selbst dann noch vorhanden und für jedermann erreichbar sind.” Wie gesagt, inhaltlich die selbe Forderung.
Dimap-Chef Richard Hilmer (der in einem anderen Zusammenhang mal gesagt hatte “Wir liefern solide Zahlen, für die Interpretation sind andere zuständig.”) verteidigt sich im Interview auf ZEIT-Online.
(In der Sache muß man Hilmer recht geben: die erste Umfrage, bei der 92% dafür waren, scheint die aussagekräftigere zu sein. Bei der zweiten Umfrage ging es in den anderen Fragen dann um die Alternative zwischen Sperren und stärkeren Maßnahmen. Die 90% “dagegen” waren also zum großen Teil Leute, die eigentlich für stärkere Maßnahmen sind.)
Jedenfalls ein interessantes Beispiel für die Kontext-Abhängigkeit von Umfrage-Ergebnissen.
Mathematische Statistik
Zur Mathematik von Meinungsumfragen gibt es übrigens einen populärwissenschaftlichen Artikel von Michel Lejeune. Dort geht es natürlich nicht darum, welche Fragen man stellen muß, sondern wie man Teilnehmer auswählt, um zu zuverlässigen Ergebnissen zu kommen. (Im Schluß-Abschnitt schreibt Lejeune übrigens, daß das größte Problem oft in der Einordnung der Nicht-Antworten besteht.)
“Verein zur Förderung des Kinder-und Jugenschutzes in den Telemedien e.V.”
Zum eigentlichen Thema Internetsperren paßt ein Artikel, der gestern im Nachbarblog Astrodicticum Simplex erschienen ist. Es geht um einen recht dubiosen Verein “Verein zur Förderung des Kinder- und Jugendschutzes in den Telemedien e.V.”, der auf seiner Webseite einen Jugendschutzfilter zum kostenlosen Download anbietet, für Eltern, die ihre Kinder “vor Gefährdung durch Erotik oder Gewalt auf deutschsprachigen Internet-Seiten” schützen wollen.
Leute, die es ausprobiert haben, berichten, daß zum Beispiel
die TAZ,
die Webseite der Grünen,
die globalisierungskritische Seite “Global Research”
oder “The American Prospect”
(und übrigens auch die scienceblogs)
von diesem Jugendschutz-Filter gesperrt werden, während pädagogisch wertvolle (und absolut gewaltfreie) Angebote wie bild.de natürlich weiter frei zugänglich sind.
(Nicht sehr überraschend, da die Bild-Zeitung zu den Sponsoren dieses Vereins gehört.)
Nun kann man wohl davon ausgehen, daß es sich bei diesem “Jugendschutz”-Filter nicht um gezielte politische Infiltration, sondern einfach nur um ein technisch völlig unausgereiftes Produkt handelt. Aber jedenfalls lenkt dieser Fall doch einmal mehr die Aufmerksamkeit auf ein grundsätzliches Problem von Internet-Kontrolle: wenn ein solches Gesetz kommen sollte, dann wird es notwendig sein, die Kontrolleure sehr genau zu kontrollieren – ein Internet-Kontrolleur kann durchaus auch andere Interessen vertreten (und im Gegensatz zu Kontrollen etwa im Presserecht würden es hier die Kontrollierten vielleicht gar nicht bemerken, daß ihre Angebote nicht mehr von überall zu erreichen sind.)
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