Bourbaki im Streik – auf YouTube.
Seit einem halben Jahr finden ja in Frankreich massive Proteste gegen das LRU (“Loi relative aux libertés et responsabilités des universités”) statt.
Im aktuellen Heft der Notices of the AMS gibt es einen Artikel über die Entwicklungen in Frankreich, speziell aus Mathematiker-Sicht:
Die Streiks hatten im Frühjahr sogar das berühmte Seminaire Bourbaki erfaßt. (Das Seminaire Bourbaki findet 3 mal im Jahr statt, mit jeweils 5 Vorträgen zu den wichtigsten aktuellen Entwicklungen in der Mathematik.)
Über die März-Sitzung berichtet der Notices-Artikel:
Sunday, March 15, 2009, was a fine sunny day in Paris,
and the Jardin Luxembourg was full of people. On the
park’s bandstand was an unusual sight: Before an audience
of about seventy-five people, Gérard Besson of the Université
de Grenoble was delivering a Bourbaki lecture (“Le
théorème de la sphère différentiable [d’après S. Brendle,
R. Schoen]”). In a gesture of solidarity with the strikes that
were sweeping French universities, the organizers of the
Bourbaki seminar had asked Besson to give his lecture
outside the usual venue, the Amphithéâtre Hermite at the
Institut Henri Poincaré, which is located in the Université
Pierre et Marie Curie. They brought along a two-sided
whiteboard, and by the time Besson had filled both sides,
the police had arrived. The officers explained that, because
the park is owned by the senate, it is not a public place, and
public lectures are thus forbidden.
Zum mathematischen Inhalt des Vortrages:
Es geht um den Beweis des “Differentiable Sphere Theorems”: Brendle und Schoen haben bewiesen, daß es keine exotischen Sphären mit Schnittkrümmung im Intervall (1,4] gibt. (D.h., wenn eine einfach zusammenhängende Mannigfaltigkeit Schnittkrümmungen im Intervall (1,4] hat, muß sie diffeomorph zur Sphäre sein. Berger und Klingenberg hatten vor ca. 50 Jahren bewiesen, daß solche Mannigfaltigkeiten homöomorph zur Sphäre sein müssen, aber die Frage, ob es exotische Sphären mit solchen Krümmungen gibt, war bis zur Arbeit von Brendle-Schoen 2007 offen. Der Satz ist optimal, denn der komplex-projektive Raum ist einfach zusammenhängend und hat Schnittkrümmungen im abgeschlossenen Intervall [1,4].)
Der Beweis benutzt den Ricci-Fluß und baut auf Ergebnissen von Micallef-Moore und Böhm-Wilking auf. Eine verständliche Zusammenfassung findet man hier.
(Besson ist übrigens auch Koautor eines Buches über die Geometrisierung von 3-Mannigfaltigkeiten mittels icci-Fluss, das bald erscheinen soll.)
Im Notices-Artikel wird Besson mit folgendem Kommentar zitiert:
“I am not sure that the
outcome of this revolutionary act is important,” Besson
said, “but my kids were happy to see me on the video.”
Jedenfalls mal was anderes als die bei den Protesten sonst üblichen Vorlesungen aus Die Prinzessin von Cleves.
Worum es bei den Streiks eigentlich ging/geht, ist nicht so leicht auszumachen und die Motive sind wohl auch nicht einheitlich. Der Notices-Artikel macht
vor allem (unter anderem) 3 kritische Punkte in Sarkozys Plänen aus:
– Abwertung der Geisteswissenschaften gegenüber Mathematik, Physik, Ingenieurwissenschaften
– Aufwertung der Uni-Präsidenten gegenüber den Fachbereichen
– Änderungen im Lehramtsstudium (Abschaffung des 2-jährigen Referendariats, stattdessen mehr Didaktik-Kurse im Studium).
Mehr Informationen hier.
Kommentare (1)