Gitter und Diskretisierungen.
In den letzten Wochen hatten wir über die Rückkehrwahrscheinlichkeit bei Irrfahrten (Brownscher Bewegung) geschrieben – in der Ebene ist die Brownsche Bewegung rekurrent, im 3-dimensionalen Raum aber nicht und im hyperbolischen Raum noch weniger.
Einfacher war es, die Rückkehrwahrscheinlichkeiten auf Gittern zu berechnen: auf dem Gitter Z2 in der (euklidischen) Ebene oder z.B. auf dem der Fundamentalgruppe der Brezel entsprechenden Gitter in der hyperbolischen Ebene1.
Kokompakte Gitter2 in einem Raum haben viele Eigenschaften mit dem Raum selbst gemeinsam, zumindest “asymptotisch”.
Beispiele:
– Wenn Irrfahrten auf dem Gitter rekurrent sind (mit Wahrscheinlichkeit 1 zum Startpunkt zurückkehren), gilt das selbe für Irrfahrten im ganzen Raum.
– Das Volumen des Raumes ist (asymptotisch) eine Funktion vom selben Typ wie das “Volumen” im Gitter.
Konkret:
Das Volumen in der euklidischen Ebene ist bekanntlich πr2 – im Gitter Z2 ist die Anzahl der Punkte innerhalb eines Kreises vom Radius r ebenfalls eine quadratische Funktion, nämlich 2r2+2r+1. “Kreis vom Radius r” bezieht sich hier auf die Abstandsmessung im Gitter, nicht in der Ebene. Zum Beispiel hat (1,1) im Gitter Abstand 2 von (0,0), während der Abstand in der Ebene Wurzel(2) wäre. (Wobei das eigentlich keinen wesentlichen Unterschied macht – auch bzgl. der Abstandsmessung in der Ebene wäre die Anzahl der Punkte eine quadratische Funktion.
Das Volumen in der hyperbolischen Ebene wächst exponentiell mit dem Radius – für die Fundamentalgruppe der Brezel wächst die Anzahl der Punkte im Radius r auch exponentiell mit r, was 1968 von Milnor bewiesen wurde3.
– Wenn der Raum negativ gekrümmt ist, dann ist auch das Gitter negativ gekrümmt, d.h. Dreiecke sind “dünn” (vgl. TvF 81, TvF 82): es gibt eine Konstante δ, so daß in jedem Dreieck jede Seite innerhalb der δ-Umgebung der anderen beiden Seiten liegt.
Es gibt noch viele weitere “asymptotische” geometrische Eigenschaften, die das Gitter mit dem Raum gemein hat, z.B. die Anzahl der Enden.
Mathematisch erfaßt man die “asymptotische Gleichheit” in der Geometrie mit dem Begriff der Quasi-Isometrie, das entsprechende Forschungsgebiet heißt “Grobe Geometrie” (“Coarse Geometry”), dazu nächste Woche.
Der Vorteil dieser “groben” Betrachtungsweise ist, daß es oft einfacher ist, “diskrete Probleme” auf Gittern zu lösen als “analytische Probleme” im ganzen Raum. Zum Beispiel kann man durch folgende elementare Anwendung der Cauchy-Schwarz-Ungleichung den Zusammenhang zwischen Volumenwachstum und Rückkehrwahrscheinlichkeiten von (symmetrischen, translationsinvarianten) Irrfahrten auf Gittern herstellen4
Sei P(x,y,t) die Wahrscheinlichkeit, daß die Irrfahrt in Zeit t von x nach y kommt. Man interessiert sich5 für q:=limsup P(0,0,t)1/t.
Milnor beweist mit einer elementaren Anwendung der Cauchy-Schwarz-Ungleichung, daß 1>q nur für Gitter mit exponentiellem Volumenwachstum möglich ist:
Es ist P(0,x,2t)=ΣyP(0,y,t)P(y,x,t)≤ (ΣyP(0,y,t)2)1/2(ΣyP(y,x,t)2)1/2
= (ΣyP(0,y,t)P(y,0,t))1/2(ΣyP(x,y,t)P(y,x,t))1/2
=P(0,0,2t)1/2P(x,x,2t)1/2
=P(0,0,2t).
(Hier haben wir neben Cauchy-Schwarz auch noch die Symmetrie und im letzten Schritt die Translationsinvarianz benutzt.)
Sei N(t) die Anzahl der Punkte im Radius t. Es muß unter diesen Punkten mindestens einen mit 1/N(t) ≤ P(0,x,t) geben. (Weil offensichtlich P(0,x,t)=0 für alle x mit größerem Radius gilt.) Damit ist auch 1/N(t)≤ P(0,0,t). (Die gerade bewiesene Ungleichung mit t statt 2t angewandt.)
Aus 1/N(t)≤P(0,0,t)≤(q+ε)1/t≤1 folgt, daß N(t) exponentiell wächst.
1Bild-Quelle: https://mathworld.wolfram.com/UniversalCover.html
2 Kokompakt heißt in diesem Zusammenhang einfach, daß es eine obere Schranke gibt für den Abstand, den ein Punkt im Raum zum Gitter haben kann. Zum Beispiel hat jeder Punkt der Ebene Abstand höchstens Wurzel(2)/2 zum Gitter Z2.
Eigentlich verwendet man in der Geometrie die Bezeichnung Gitter nur für diskrete Untergruppen G der Isometriegruppe des Raumes X; die in den Bildern gezeichneten Gitter sind dann der G-Orbit eines Punktes. Ein kokompaktes Gitter ist ein Gitter G, so dass X/G kompakt ist. Das bedeutet gerade, daß es eine obere Schranke gibt für den Abstand, den ein Punkt im Raum zu einem (fest gewählten) Orbit des Gitters haben kann.
3 Milnor bewies das exponentielle Wachstum allgemein für Fundamentalgruppen von negativ gekrümmten, kompakten Mannigfaltigkeiten.
4 aus Milnors Arbeit A note on curvature and fundamental group
5 Nach Wurzelkriterium ist 1>q hinreichend für Konvergenz der Summe ΣtP(0,0,t).
Kommentare (6)