Am 3.11.1859 war Riemanns Arbeit “Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe” bei der Berliner Akademie vorgetragen worden, bis heute ist die Vermutung unbewiesen.

Es geht um die Nullstellen der Zetafunktion (und letztlich um die Verteilung der Primzahlen). Die Zetafunktion hat ‘triviale’ Nullstellen -2,-4,-6,… und außerdem viele Nullstellen auf der Gerade 1/2+it (t reell), wie das folgende Video (wo der Graph des Betrages der Zetafunktion über der komplexen Zahlenebene aufgetragen wird) zeigt:

Die Riemann-Vermutung besagt, daß es darüber hinaus keine weiteren Nullstellen gibt.

Eigentlich ging es in Riemanns Arbeit (hier als pdf) um die Verteilung der Primzahlen:

In der That hat sich bei der von Gauss und Goldschmidt vorgenommenen und bis zu x = drei Millionen fortgesetzten Vergleichung von Li(x) mit der Anzahl der Primzahlen unter x diese Anzahl schon vom ersten Hunderttausend an stets kleiner als Li(x) ergeben, und zwar wächst die Differenz unter manchen Schwankungen allmählich mit x. Aber auch die von den periodischen Gliedern abhängige stellenweise Verdichtung und Verdünnung der Primzahlen hat schon bei den Zählungen die Aufmerksamkeit erregt, ohne dass jedoch hierin eine Gesetzmässigkeit bemerkt worden wäre. Bei einer etwaigen neuen Zählung würde es interessant sein, den Einfluss der einzelnen in dem Ausdrucke für die Dichtigkeit der Primzahlen enthaltenen periodischen Glieder zu verfolgen. Einen regelmässigeren Gang als F(x) würde die Function f(x) zeigen, welche sich schon im ersten Hundert sehr deutlich als mit Li(x) + log zeta(0) im Mittel übereinstimmend erkennen lässt.

Wenn korrekt, würde aus der Riemann-Vermutung die genauest-mögliche Abschätzung für die Anzahl von Primzahlen kleiner x folgen:
Die Anzahl der Primzahlen kleiner x ist näherungsweise das Integral über 1/ln(t) von t=2 bis t=x. Aus der Riemann-Vermutung würde folgen, daß der Fehler dieser Näherungsformel höchstens x1/2ln(x)/8π ist (für x größer als 2657). Wie Schoenfeld 1976 bewiesen
hat, ist dies die bestmögliche Ungleichung für den Fehler der Näherungsformel.

Auf dem arxiv erscheinen alle paar Monate angebliche Beweise der Riemann-Vermutung, die von den Betreibern fast immer in die Kategorie ‘Allgemeine Mathematik’ (sozusagen die Müllkippe des arxiv) einsortiert werden. Auch wenn viele Analogien zur Riemann-Vermutung in scheinbar komplizierteren Zusammenhängen (z.B. die Weil-Vermutungen) inzwischen bewiesen sind, ist die Riemann-Vermutung immer noch ein offenes Problem.

Am 18.11. werden weltweit an mathematischen Instituten Vorträge zur Riemann-Vermutung stattfinden. (Die Wahl des Datums erschließt sich mir nicht. Riemann hatte seine Arbeit am 19.10. eingereicht und sie wurde, wie gesagt, am 3.11. in der Akademie vorgestellt.)

In der Fernsehserie “Story of Maths” gibt es eine Episode über Riemann (4 Minuten), es geht allerdings mehr um seine Thesen zur Geometrie als um Primzahlen (die Jahreszahl im Video ist übrigens nicht ganz korrekt, Riemanns Vortrag zu den Grundlagen der Geometrie fand 1854 statt).

Und schließlich noch eine musikalische Verarbeitung der Geschichte der Riemann-Vermutung:

Kommentare (9)

  1. #1 Odysseus
    3. November 2009

    Wäre es denkbar, dass die Riemann-Vermutung unter den Unvollständigkeitssatz fällt? Dass sie also wahr, aber nicht beweisbar ist? Dann könnte man natürlich lange suchen.

  2. #2 Thilo
    3. November 2009

    Tja, man weiß es nicht. Es gibt tatsächlich “Anwendungen” des Unvollständigkeitssatzes in der Zahlentheorie – man kann mit dem Unvollständigkeitssatz beweisen, daß es diophantische Gleichungen geben muß, deren Lösbarkeit sich durch keinen Algorithmus entscheiden läßt: https://en.wikipedia.org/wiki/Hilbert%27s_tenth_problem#Applications

    Andererseits ist mir kein Beispiel einer ‘konkreten’ mathematischen Frage bekannt, die sich wegen dem Unvollständigkeitssatz nicht entscheiden läßt….

  3. #3 H.M.Voynich
    3. November 2009

    “Andererseits ist mir kein Beispiel einer ‘konkreten’ mathematischen Frage bekannt, die sich wegen dem Unvollständigkeitssatz nicht entscheiden läßt….”
    Das erste von Hilberts 23 Problemen war die Frage, ob es zwischen den Mächtigkeiten der natürlichen und der reellen Zahlen noch eine Kardinalszahl gibt. Mittlerweile wurde bewiesen, daß es diese Kardinalszahl geben kann, aber nicht muß – beides ist widerspruchsfrei zur Mengenlehre, somit unentscheidbar.

  4. #4 rank zero
    4. November 2009

    Ich gehe mal davon aus, dass Thilo dies seit dem 1.Semester bekannt ist, und dass er einfach eine andere Vorstellung von Konkretheit hat.

    Ich bin sehr skeptisch bei Spekulationen, wenn ein populäres Problem mal eben freihand mit Unentscheidbarkeit verknüpft wird. Nicht selten geschieht dies schlicht aus kommerziellen Gründen, weil sich dies einfach im Rahmen von Populärmathematik gut vermarkten lässt (RH und P=NP? dürften hier die häufigsten Opfer sein). In diesem Zusammenhang wäre es mal lustig, die ganzen klugen Sätze noch einmal nachzulesen, mit denen bis vor ca. 15 Jahren vielerorts die Möglichkeit der Unentscheidbarkeit des Fermat begründet wurde. (Für mich sind z.B. einige zweifelhafte Spekulationen über Unentscheidbarkeit mit dem Namen Gregory J. Chaitin verbunden, natürlich gibt es auch für Stephen Wolfram hier fruchtbares Terrain).

    Lustig wäre hier noch einmal explizit einzumerken, dass RH zu einer Klasse von Problemen gehört, bei denen Unentscheidbarkeit impliziert, dass sie wahr sind.

  5. #5 Thilo
    4. November 2009

    @ HMV: Ja, ich geb zu, das ist durchaus eine konkrete Frage. Ich hatte bei meinem Kommentar an zahlentheoretische Fragen gedacht, wo man ja immer wieder mal im Zusammenhang mit populären ungelösten Problemen (wie der Goldbach-Vermutung) liest, daß diese womöglich unentscheidbar sein könnten. Rein gefühlsmäßig bin ich da auch eher skeptisch, aber man weiß es natürlich nicht.

  6. #6 H.M.Voynich
    4. November 2009

    Ohje, da scheint Gödel wohl auf die Arbeitsmoral der Mathematiker einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt zu haben 😉

  7. #7 Thilo
    5. November 2009

    Nein, eigentlich nicht. Als Mathematiker beschäftigt man sich eher selten mit solchen Grundlagen-Fragen. Meine Bemerkung, daß man “immer wieder mal im Zusammenhang mit populären ungelösten Problemen (wie der Goldbach-Vermutung) liest, daß diese womöglich unentscheidbar sein könnten” bezog sich eher auf populärwissenschaftliche Texte.

  8. #8 H.M.Voynich
    6. November 2009

    @Thilo:
    Klar, in der Populärwissenschaftlichen Literatur macht sich das ja auch gut, das Mystische. 😉
    Aber Chaitin? Wolfram? (Warum hacken eigentlich immer alle auf letzterem so herum? Ich mag seine Ideen 😉

  9. #9 H.M.Voynich
    6. November 2009

    Übrigens danke, @rank zero, für den Verweis auf Chaitin. Seine Konstante kannte ich ja noch gar nicht – für mich (als low-level-programmierer) eine witzige Sache.
    Transzendent, WEIL unberechenbar (anstatt umgekehrt) – genau wegen solcher Blickwinkelwechsel liebe ich die Mathematik (auch wenn ich wenig von ihr verstehe).