“An object will be studied by seeking a collection of objects that it classifies.”
Letzte Woche hatten wir über Knoten geschrieben, speziell über die Kleeblatt-Schlinge:
Das ist vielleicht der einfachste Knoten (nach dem unverknoteten Kreis), hat aber in letzter Zeit eine Rolle gespielt bei einigen interessanten Arbeiten, dazu in den nächsten Wochen.
Heute zunächst über den Zusammenhang mit dem “Modulraum” von Gittern.
In TvF 95 hatten wir aus einem Artikel von Reed über Klassifikation in Mathematik und Biologie zitiert:
In fact, the existence of such a relationship of classification is so powerful a tool that mathematicians often reverse the process described above. Instead of beginning with a collection of objects and seeking an object to classify them, an object will be studied by seeking a collection of objects that it classifies!
Ein Beispiel dieses Prinzips ist der Zusammenhang zwischen dem “Modulraum” der Gitter (d.h. der Menge aller Gitter) und der Kleeblattschlinge.
Die Kleeblatt-Schlinge ließ sich beschreiben durch die Gleichungen
z3 – 27 w2 = 0
IzI2 + IwI2 = 1
in komplexen Zahlen z,w.
Cf. letzte Woche: Die Paare komplexer Zahlen bilden den C2=R4, also den reell 4-dimensionalen Raum. Diejenigen (z,w), die die 2. Gleichung IzI2 + IwI2 = 1 erfüllen, bilden die 3-dimensionale Sphäre im R4. Mit stereographischer Projektion kann man die S3 (ohne Nordpol) auf den R3 abbilden. Die Lösungsmenge der 1.Gleichung wird dadurch auf die Kleeblatt-Schlinge abgebildet.
Gordon und Luecke haben in den 80er Jahren bewiesen, daß die Klassifikation der Knoten gleichbedeutend mit Klassifikation der Knotenkomplemente ist. (Das Komplement sind diejenigen Punkte in S3, die nicht zum Knoten gehören.)
D.h. zwei Knoten sind gleich genau dann, wenn die Knotenkomplemente gleich (d.h homöomorph, cf. TvF 9) sind.
Das Komplement der Kleeblattschlinge in S3 sind natürlich die Lösungen von
z3 – 27 w2
0
IzI2 + IwI2 = 1
– statt der ersten Gleichung muß jetzt die Ungleichung gelten.
Wie kann man dieses Komplement anders beschreiben? Nächste Woche werden wir über den Zusammenhang mit der Modulfläche schreiben, heute zunächst über den Zusammenhang mit Gittern, genauer: mit dem “Modulraum” der Gitter.
Über Gitter hatten wir in TvF 93 und TvF 95 geschrieben:
Ein Gitter (in der komplexen Zahlenebene) wird von zwei Vektoren erzeugt und besteht aus allen Summen von (ganzzahligen) Vielfachen dieser beiden Vektoren.
Das Gitter oben ist erzeugt von 1 und i.
Das Gitter unten von 1 und 0.5+0.86…i (der Winkel ist 60o).
0
gibt es ein eindeutiges Gitter, dessen Eisensteinreihen genau diese Werte annehmen.
Für Gitter, deren Fundamentalbereich den Flächeninhalt 1 hat, ist außerdem IG2I2+IG3I2=1.
Man hat also eine eineindeutige Entsprechung zwischen Gittern mit Flächeninhalt 1 und dem Komplement der Kleeblattschlinge.
(In TvF 95 hatten wir Gitter noch als gleich angesehen, wenn sie durch eine Drehung auseinander hervorgehen. Dadurch erhielt man dann nur einen 2-dimensionalen Modulraum, der der Modulfläche H2/SL(2,Z) entsprach.)
Bringt das etwas zum topologischen Verständnis des Kleeblattschlingen-Komplements (im Sinne des Reed-Artikels: “an object will be studied by seeking a collection of objects that it classifies”)?
In Kapitel 3 dieses (relativ) populärwissenchaftlichen Artikels wird beschrieben, daß man den Modulraum der Gitter auf naheliegende Weise in Kreise zerlegen kann: man nimmt einfach ein Gitter, dreht es solange in der Ebene, bis man wieder das ursprüngliche Gitter bekommt, und bekommt so eine Menge von Gittern, die einen Kreis im Modulraum beschreibt.
Diese Zerlegung des Modulraums in Kreise ist eine sogenannte Seifert-Faserung, mit der man leicht den topologischen Typ des Knotenkomplements bestimmen kann. (Seifert-Faserungen wurden schon 1933 von Seifert topologisch klassifiziert.)
Es wäre zwar machbar, aber schwieriger gewesen, diese Zerlegung direkt am Bild der Kleeblattschlinge zu “sehen”.
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