Auf NDR hat Randa Ranga Yogeshwar gerade behauptet, durch das Flugverbot nach dem 11.September wären (wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens) Tausende Leute ums Leben gekommen.

(Wenn ich richtig verstanden habe, sprach er von 18000 zusätzlichen Toten).

Er schloß daraus, wir müßten besser mit Risiken (ich nehme an, er meinte: Risikowahrscheinlichkeiten) umzugehen lernen.

Er bezieht sich offensichtlich auf die Arbeit von Gerd Grugenenzer Gigerenzer: “Dread Risk, September 11, and Fatal Traffic Accidents”. (Diese Arbeit wurde 2004 in Psychological Science veröffentlicht.)

Im Abstract dieser Arbeit wird behauptet:

The analysis suggests that the number of Americans who lost their lives on the road by avoiding the risk of flying was higher than the total number of passengers killed on the four fatal flights.

Tatsächlich wird in Gigerenzer’s Arbeit eine Zahl von 353 zusätzlichen Verkehrstoten (aufgrund des größeren Autoverkehrs in den 3 Monaten nach dem 11.September) berechnet.
Was
1. den Abstract der Arbeit etwas irreführend klingen läßt (klar, er spricht von Flugpassagieren, und von denen sind am 11. September tatsächlich “nur” 266 ums Leben gekommen – trotzdem wird der Abstract leicht zu Mißverständnissen führen)
und
2. auf jeden Fall ganz anders klingt als die Tausenden Toten bei Rogeshwar Yogeshwar.

Einen anderen Aspekt diskutiert noch Oliver Kuss: “Dread Risk, September 11, and Fatal Traffic Accidents: An Example of the Ecological Fallacy?”.
Kuss vertritt zunächst die These, daß die größere Zahl an Verkehrsunfällen auch durch andere Phänomene, z.B. höherer Streß und daraus resultierende geringere Konzentration nach dem 11.September, hervorgerufen sein könnte. Deshalb sollte man seiner Meinung nach nicht von aggregierten Daten auf individuelle Effekte schließen, sondern einzelne individuelle Fälle untersuchen – also für eine gewisse Zahl von Unfall-Fahrern und von nicht verunglückten Fahrern untersuchen, ob sie normalerweise geflogen wären und dann die Relationen vergleichen. (Die in diesem Artikel vorgeschlagene Untersuchung ist aber wohl noch nicht durchgeführt worden?)

Kommentare (12)

  1. #1 Sven Türpe
    28. April 2010

    Unabhängig von den Zahlen und statistischen Methoden ist das Thema als Frage auf jeden Fall interessant. Wir betrachten und bewerten die Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen in aller Regel in Teilsystemen. Die Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen in der Luftfahrt messen wir zum Beispiel an der Zahl der Unfälle und gefährlichen Ereignisse und den dabei entstandenen Schäden. Nebenwirkungen außerhalb des gesetzten Rahmens — der nötig ist, um das betrachtete Problem überschaubar zu machen — blenden wir systematisch aus.

    Vielleicht liegen wir damit sogar oft richtig, aber eben nicht immer. Eine Sicherheitsmaßnahme, die lokal offensichtlich wirkt, kann in der umfassenderen Betrachtung wirkungslos sein oder sogar einen negativen Effekt haben. Das bedeutet, wir dürfen Risikogrößen und -verhältnisse nicht heuristisch von einem Bezugssystem in ein anderes übertragen oder ihre Fortgeltung über eine Bezugssystemerweiterung hinweg erwarten. Eine Risikoverminderung des einzelnen Fluggastes oder der Gesamtheit der Fluggäste beim Fliegen, auch wenn sie klar nachgewiesen ist, impliziert keine Verminderung des Lebensrisikos des Fluggastes oder der Gesamtheit. Oder kürzer ausgedrückt: dass Fliegen sicherer wird, bedeutet nicht, dass wir merklich länger leben, selbst wenn wir alle fliegen.

  2. #2 Sven Türpe
    28. April 2010

    Unabhängig von den Zahlen und statistischen Methoden ist das Thema als Frage auf jeden Fall interessant. Wir betrachten und bewerten die Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen in aller Regel in Teilsystemen. Die Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen in der Luftfahrt messen wir zum Beispiel an der Zahl der Unfälle und gefährlichen Ereignisse und den dabei entstandenen Schäden. Nebenwirkungen außerhalb des gesetzten Rahmens — der nötig ist, um das betrachtete Problem überschaubar zu machen — blenden wir systematisch aus.

    Vielleicht liegen wir damit sogar oft richtig, aber eben nicht immer. Eine Sicherheitsmaßnahme, die lokal offensichtlich wirkt, kann in der umfassenderen Betrachtung wirkungslos sein oder sogar einen negativen Effekt haben. Das bedeutet, wir dürfen Risikogrößen und -verhältnisse nicht heuristisch von einem Bezugssystem in ein anderes übertragen oder ihre Fortgeltung über eine Bezugssystemerweiterung hinweg erwarten. Eine Risikoverminderung des einzelnen Fluggastes oder der Gesamtheit der Fluggäste beim Fliegen, auch wenn sie klar nachgewiesen ist, impliziert keine Verminderung des Lebensrisikos des Fluggastes oder der Gesamtheit. Oder kürzer ausgedrückt: dass Fliegen sicherer wird, bedeutet nicht, dass wir merklich länger leben, selbst wenn wir alle fliegen.

  3. #3 michael
    28. April 2010

    Nun, da kann man ja gespannt sein, wieviel Tote dem letzte Flugverbot angedichtet werden.

  4. #4 Bernd W
    28. April 2010

    @Thilo: Gerd Grugenenzer heißt tatsächlich Gerd Gigerenzer.

  5. #5 Sven Türpe
    28. April 2010

    Unabhängig von den Zahlen und statistischen Methoden ist das Thema als Frage auf jeden Fall interessant. Wir betrachten und bewerten die Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen in aller Regel in Teilsystemen. Die Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen in der Luftfahrt messen wir zum Beispiel an der Zahl der Unfälle und gefährlichen Ereignisse und den dabei entstandenen Schäden. Nebenwirkungen außerhalb des gesetzten Rahmens — der nötig ist, um das betrachtete Problem überschaubar zu machen — blenden wir systematisch aus.

    Vielleicht liegen wir damit sogar oft richtig, aber eben nicht immer. Eine Sicherheitsmaßnahme, die lokal offensichtlich wirkt, kann in der umfassenderen Betrachtung wirkungslos sein oder sogar einen negativen Effekt haben. Das bedeutet, wir dürfen Risikogrößen und -verhältnisse nicht heuristisch von einem Bezugssystem in ein anderes übertragen oder ihre Fortgeltung über eine Bezugssystemerweiterung hinweg erwarten. Eine Risikoverminderung des einzelnen Fluggastes oder der Gesamtheit der Fluggäste beim Fliegen, auch wenn sie klar nachgewiesen ist, impliziert keine Verminderung des Lebensrisikos des Fluggastes oder der Gesamtheit. Oder kürzer ausgedrückt: dass Fliegen sicherer wird, bedeutet nicht, dass wir merklich länger leben, selbst wenn wir alle fliegen.

  6. #6 JSM
    28. April 2010

    @Thilo: Randa Yogeshwar heißt tatsächlich Ranga Yogeshwar.

    18000 Tote hielt ich zunächst wirklich für etwas übertrieben. Aber wenn man das auf die weltweite Situation bezieht – vielleicht doch. Es waren schließlich weltweit Flüge ausgefallen und nicht nur in Europa. Dazu kommen wahrscheinlich noch wesentlich mehr, zum Teil auch schwerst, Verletzte.
    Ansonsten kann ich mich nur Sven Türpe anschließen.

  7. #7 Thilo Kuessner
    28. April 2010

    Es waren schließlich weltweit Flüge ausgefallen und nicht nur in Europa.

    Eine Anmerkung: es geht bei Gigerenzer nicht (nur) um ausgefallene Flüge, sondern darum, daß Leute in den 3 Monaten nach dem 11.September weniger geflogen sind und häufiger das Auto genommen haben.

    Wenn man nur die ausgefallenen Flüge einbeziehen würde, wären die Zahlen offensichtlich viel niedriger.

  8. #8 Wb
    29. April 2010

    Politiker sind heutzutage geneigt Ereignisse ereignisbezogen zu bearbeiten und keine allgemeineren Überlegungen anzustellen, verständlich, aber hohl, es kann in der Tat vieles per se sicherer werden und die allgemeine Lebenserwartung sinken.

    Ein intelligent agierender Politiker würde allerdings weder seinen noch den (gefühlten) Interessen des Wahlvolks dienen, sollte er anders handeln; er würde, die heutige Medienlage und allgemeine Lage i.p. Sacharbeit vorausgesetzt, einfach nur sein pers. Scheitern riskieren.

    Wenn Herr Yogeshwar korrekt verstanden worden ist, dann können wir hier noch den interessanten Aspekt zK nehmen, dass unplausible Zahlen oft einfach geglaubt werden, auch und gerade von den Besseren, wenn nur eine passende wissenschaftliche Arbeit bereit steht.

    MFG
    Wb

  9. #9 michael
    30. April 2010

    Der Webbär schrieb
    Wenn Herr Yogeshwar korrekt verstanden worden ist, dann können wir hier noch den interessanten Aspekt zK nehmen, dass unplausible Zahlen oft einfach geglaubt werden, auch und gerade von den Besseren, wenn nur eine passende wissenschaftliche Arbeit bereit steht.

    Was ist an der Zahl von 353 zusätzlichen Verkehrstoten unplausibel? Und wem will der Webbaer hier Leichtgläubigkeit vorwerfen ? Zuviel Honigmet getrunken ?

  10. #10 Thilo Kuessner
    30. April 2010

    Nein, nein, Herr Yogeshwar hatte eben nicht von 353 Verkehrstoten gesprochen, sondern (wenn ich richtig verstanden habe) von 18.000.
    Zum Vergleich: die jährliche Gesamt-Zahl an Verkehrstoten liegt in den USA in einer Größenordnung von 40.000.

    Die Zahl von 353 zusätzlichen Verkehrstoten in 3 Monaten stammt aus der Arbeit von Gigerenzer. Ich vermute mal, daß es diese Arbeit ist, die Yogeshwar gelesen hat, jedenfalls habe ich neben den beiden oben zitierten keine anderen Arbeiten zu dem Thema gefunden.

  11. #11 Wb
    30. April 2010

    @michael
    Es ging nur um die unplausible Zahl 18.000, wobei es völlig egal ist, ob sich Herr Yogeshwar hier schlecht oder gut informiert hat, die Zahl 18.000 kann eben nicht zutreffend sein. [1]

    Der andere Punkt ist dann noch die Zahlenfeststellung selbst, viele Mathematiker (Stochastiker insbes. 🙂 können hier sicherlich zustimmen, wenn behauptet wird, dass so eine Zahl bei einem einmaligen Ereignis (vs. Prozess) nicht sinnvoll ermittelt werden kann.

    Womit wir wieder beim Topic wären: keine fundierte Entscheidungsgrundlage für Politiker gegeben

    In solchen nicht seltenen Fällen müssten die Burschen normalerweise aus dem Bauch heraus entscheiden, gesunder Menschenverstand und so, zurzeit sind sie aber geneigt sich ganz primär abzusichern, also “Standardentscheidungen” zu treffen, die ihnen vermutlich keine schwerwiegenden Probleme nachtragen werden.

    MFG
    Wb

    [1] sofern da tatsächlich bzgl. der Opferzahlen von Tausenden die Rede war, was sich der Wb aber sehr gut vorstellen kann

  12. #12 michael
    1. Mai 2010

    @wb

    Da hat wohl mein WB-Kommentar-Interpreter komplett versagt. Ich hatte gedacht, der WebBaer hätte mit ‘unplausible Zahl’ die 353 gemeint. Ich werd den Interpreter überarbeiten.