Auf den scienceblogs (genauer: auf dem neuen Blog “Andererseits”) tobt gerade wieder einmal eine Kommentarschlacht über ‘Skeptizismus’ in der Wissenschaft.
Diesmal geht es nicht um Homöopathie oder Astrologie, sondern um HIV. Die Argumente der Autorin sind dieselben, die man schon tausendmal gehört hat, Zitat:
Ich habe keine Ahnung, wer Recht hat! Es verblüfft mich jedoch, wieviele Wissenschaftler die allgemein bekannten AIDS-HIV-Theorien ablehnen. Ich würde mir da nicht so einen Zweifronten-Krieg, sondern eine ordentliche Diskussion wünschen. Die gibt es auch deswegen nicht, weil die, sagen wir mal “anerkannten Wissenschaftler” es nicht für nötig halten, die Argumente der Gegenseite zu entkräften.
Und später im Kommentarteil der Diskussion:
Mir wurde nahegelegt, mich von meine Äusserung zu distanzieren, dass ich nicht weiss, ob die AIDS-HIV-Kritiker Recht haben oder nicht. Dazu wurden ja jetzt viele Links von z.B. Esowatch angeführt.
Das tue ich aber nicht.
Ich weiss immernoch nichts weiter über AIDS, nur das Schulwissen und das, was ein paar Kritiker behaupten. Es war nur eines von vielen möglichen Beispielen, auf das man hier offensichtlich sehr empfindlich reagiert. Ich hätte auch den LHC mit dem schwarzen Loch erwähnen können. Wieviel Prozent der hier mitlesenden können wirklich die Argumente dieser hand voll Leute, die meinen, da könnte ein schwarzes Loch entstehen, nachvollziehen? Dafür braucht man mindestens ein Studium in Atomphysik!
Der Leser von wissenschaftlichen Berichten kann doch nur GLAUBEN, dass das stimmt, was da steht, je mehr Leute eine These wiederholen und von je mehr vertrauenswürdigen Personen man es hört, umso verlässlicher wird die Information. Daswegen glaubt auch kaum einer das mit dem LHC. Aber es schliesst nicht aus, dass es stimmen kann, das kann doch kaum ein Mensch nachvollziehen.
Ich finde diese Diskussion in der Sache genauso überflüssig wie langweilig und werde mich auch nicht daran beteiligen, schon aus Mangel an Biologie- und Medizin-Kenntnissen. Aber vielleicht (paßt schließlich ins Sommerloch) paßt hier mal eine grundsätzliche Bemerkung zum Thema ‘Glauben in der Wissenschaft’.
(In der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen der DMV ist übrigens ein Interview mit Prof. Kreck, in dem er auch auf ‘die Rolle des Glaubens in der Mathematik’ eingeht. Der Artikel ist leider nicht online.)
Warum ‘glaubt’ man, daß die Grundlagen des eigenen Faches, auf denen man seine Arbeit aufbaut, richtig sind? Zum Teil natürlich, weil man sie selbst nachgeprüft hat, als Student im Studium oder später beim Halten von Vorlesungen oder auch weil man sich bei der eigenen Arbeit nebenbei noch mal mit den Grundlagen beschäftigt hat. Warum ‘glaubt’ man, daß auch diejenigen Grundlagen richtig sind, mit denen man selbst sich nur flüchtig oder gar nicht beschäftigt hat? Weil es eben Grundlagen sind, die jedes Jahr auf Neue von Dutzenden Professoren an Tausende Studenten vermittelt werden, die sich alle mit dem Stoff auseinandersetzen und einen eventuellen Fehler schon lange gefunden hätten.
Natürlich gibt es da auch Schattierungen. Um einmal ein paar Beispiele aus meinem eigenen Gebiet zu erwähnen: in der Differentialtopologie verwendet man häufig die Tatsache, daß sich glatte Mannigfaltigkeiten aus Henkeln aufbauen lassen. Das ist Mitte des vorigen Jahrhunderts mal bewiesen worden. Wohl jeder Topologe kennt auch den Beweis: dieser folgt aus der sogenannten “Morsetheorie” und wird häufig in Seminaren für Studenten des 6.Semesters behandelt, meist nach Milnors bekanntem Lehrbuch. Allerdings, eigentlich erhält man dort erstmal nur, daß man aus Henkeln Mannigfaltigkeiten mit Ecken zusammensetzen kann. Und daß man diese Ecken glätten kann ist doch offensichtlich, damit wird man sich im Seminar nicht weiter aufhalten. Jeder Topologe, den man fragt, wird diese Tatsache ‘glauben’, mir ist aber bisher niemand begenet, der sich die Mühe gemacht hätte, es wirklich noch einmal durchzurechnen. (Es ist einerseits zu trivial und langweilig, wäre andererseits aber doch mit einem gewissen Arbeitsaufwand verbunden.)
Ähnliche Beispiele könnte man viele anführen. Während es einerseits Beweise gibt, die auch nach Jahren noch von vielen Leuten gelesen und z.B. in Seminaren behandelt werden, gibt es auch Tatsachen, die jeder kennt, aber kaum jemand nachprüft.
Zum Beispiel kennt (und benutzt) jeder Topologe die Tatsache, daß sich glatte Mannigfaltigkeiten triangulieren lassen, der Beweis (1940 von Whitehead in Annals of Mathematics veröffentlicht) gilt aber offenbar als didaktisch nicht so wertvoll, jedenfalls scheint er als Thema in Studenten-Seminaren nie vorzukommen, ergo kennt (und prüft) kaum ein lebender Mathematiker den Beweis.
Oder: jeder 3-Mannigfaltigkeits-Topologe weiß, daß es auf 3-Mannigfaltigeiten eine eindeutige differenzierbare Struktur gibt (und weiß vielleicht auch noch, daß dies in einem alten Buch von Moise steht), aber auch hier gibt es wohl kaum jemanden, der sich selbst mit dem Beweis beschäftigt hat. (Schon in der MR-Besprechung von 1977 wurde darauf hingewiesen, daß das Buch wegen seines Aufbaus für Uni-Vorlesungen nicht zu empfehlen sei.)
Langer Rede kurzer Sinn: auch in der Mathematik gibt es durchaus Tatsachen, die zwar irgendwann vor Jahrzehnten einmal bewiesen (und von Gutachtern geprüft) wurden, die aber heute eigentlich nur noch ‘geglaubt’ und benutzt werden.
‘Geglaubt’ werden sie unter anderem deshalb, weil sie damals von zuverlässigen Gutachtern geprüft wurden, weil sie plausibel (soll heißen: kompatibel mit anderen Dingen, die man weiß) sind und weil eben nie jemand etwas gefunden hat, was zu diesen Tatsachen im Widerspruch stehen würde. (Denn selbst wenn man sich nicht mit den Beweisen dieser Tatsachen beschäftigt, befaßt man sich ja doch mit Fragen aus dem Umkreis der jeweiligen Themen und würde natürlich stutzig werden, wenn sich in der eigenen Arbeit ein Widerspruch zu bekannten Tatsachen auftäte. Oder anders gesagt: alleine die Tatsache, daß jahrzehntelang niemandem von Hunderten auf einem Gebiet tätigen Wissenschaftlern irgendein Grund aufgefallen ist, der Zweifel an dem bekannten Resultat sät, ist natürlich ein weiteres Indiz für seine Korrektheit.)
Und, last not least, ‘glaubt’ man veröffentlichte Resultate natürlich auch deshalb, weil man die Mechanismen der Wissenschaft kennt und weiß. wie lange Überprüfungen eingereichter Arbeiten bei Fachzeitschriften meist dauern.
Man kann wohl sagen, daß der gesamte Wissenschaftsbetrieb darauf ausgerichtet ist, Strukturen dafür zu schaffen, daß Resultate sicher genug sind, um anschließend ‘geglaubt’ zu werden (und dafür zu sorgen, daß wichtige und vielbenutzte Tatsachen in der Regel, trotz der oben beschriebenen Ausnahmen, eben auch von vielen Leuten überprüft wurden und z.B. im Rahmen von Vorlesungen und Seminaren immer wieder überprüft werden).
Was heißt das nun für die ewig-gleichen Diskussionen über Homöopathie, HIV, den LHC oder Relativitätstheorie? Nichts, gar nichts, überhaupt nichts. Denn diese Themen sind von Tausenden, Zehntausenden, vielleicht Hunderttausenden untersucht und diskutiert worden. Nichts was dort von Skeptikern gesagt wird, ist nicht schon tausende Male überprüft worden. Und deshalb ist diese Diskussion auch überflüssig wie ein Kropf.
Kommentare (39)