Die ZEIT schreibt über Cédric Villani
unter der Überschrift “Der Mathematiker mit der Spinnenbrosche”.
Villani hat am Donnerstag die Fieldsmedaille (das Nobelpreis-Äquivalent für Mathematiker) erhalten und hat es mit seinen Accessoires – mehr noch als der Spinnenbrosche vor allem mit seinen auffälligen Lavallières (einem auch als Bohèmeschleife bezeichneten Accessoire, das seinen Namen einer Mätresse Ludwigs XIV. verdankt) – geschafft, das im Zusammenhang mit Mathematik und der Fieldsmedaillen-Verleihung (vermutlich zum ersten Mal) über Mode- und Stil-Fragen diskutiert wurde.
Im ZEIT-Artikel schimmert (mindestens unterschwellig) die These durch, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Villanis Kleidung und seiner Mathematik – beide seien im 19.Jahrhundert verhaftet (was der Autor durchaus positiv meint).
Der junge Mathematiker könnte auf den ersten Blick aus der Zeit Poincarés stammen.
heißt es zunächst und nach einer ausführlichen Beschreibung dann
Auch Villanis Mathematik ist solide im 19. Jahrhundert verhaftet – ein Jahrhundert, als es eine gewisse Einheit zwischen Mathematik und Physik gab – Mathematiker entwickelten das Werkzeug für die immer komplexere Beschreibung der Natur. Villani griff gleich nach dem Studium ein übriggebliebenes Problem aus dieser Zeit auf und beschäftigte sich mit den Arbeiten des deutschen Physikers Ludwig Boltzmann.
und weiter dann, daß Villani als erster die Boltzmann-Gleichung exakt gelöst habe, wofür er jetzt die Fields-Medaille erhielt. (Soweit ich die Laudatio zur Fields-Medaille verstehe, geht es um folgendes: Kollisionsprozesse von Gas-Molekülen sind irreversibel – die Entropie nimmt während des Prozesses zu. Das konnte man bisher nur für glatte Lösungen der Boltzmann-Gleichung beweisen, Villani und Desvillettes haben dies nun allgemeiner bewiesen und vor allem auch Abschätzungen dafür erhalten, mit welcher Geschwindigkeit das System gegen den Gleichgewichtszustand konvergiert, d.h. wie schnell die Entropie wächst.)
Ein Blick auf die Arbeit im Original vermittelt imho (auch ohne die Details zu verstehen) den Eindruck, daß hier sehr wohl vieles an Mathematik des 20.Jahrhunderts verwendet wird (angefangen mit dem abstrakten Konzept der Sobolev-Räume, das aus den 30er Jahren stammt) und daß die Darstellung der ZEIT, Villani hätte ein übriggebliebenes Problem aus dem 19.Jahrhundert gelöst, sich vielleicht doch nicht so ganz halten läßt. (Villanis Arbeit gibt 47 Referenzen an, von denen die älteste aus dem Jahr 1965 ist.)
Ein schöner Aufhänger für eine Story über Mathematik ist es natürlich trotzdem 🙂
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