Es ist immer wieder erstaunlich, wieviele scheinbar elementare Fragen noch nicht gelöst sind oder erst jüngst gelöst wurden.
Fields-Medaillengewinner Stanislav Smirnov hat auf dem ICM in Hyderabad über eine solche ‘elementare’ Frage, deren Lösung von Physikern vor 28 Jahren vermutet, aber erst jetzt mathematisch bewiesen wurde, vorgetragen.
Es geht um eine Frage zu “self-avoiding random walks” – das sind Irrfahrten auf einem Gitter in der Ebene (z.B. dem Sechseck-Gitter im Bild unten), die nie zu einem Punkt zurückkehren, an dem sie bereits einmal gewesen sind.
(Das Bild stammt aus diesem Artikel von Etienne Ghys.)
Im Bild rot gezeichnet ist ein “selbstvermeidender” Weg, d.h. ein Weg, der im Nullpunkt startet und nie zu einem Punkt zurückkehrt, an dem er bereits einmal gewesen ist?
Eine naheliegende und scheinbar elementare Frage: wieviele selbstvermeidende Wege der Länge n gibt es?
Weil man keine präzise Formel für diese Anzahl A(n) selbstvermeidender Wege der Länge n kennt,
möchte man wenigstens die Asymptotik von A(n) verstehen,
d.h. man möchte eine Formel A(n)=f(n)cn mit einer “subexponentiellen” Funktion f(n), d.h. f(n) soll langsamer wachsen als cn. (Für große n hängt die Anzahl A(n) dann also im wesentlichen von cn ab.)
Physiker hatten 1982 vermutet, daß für das Sechseckgitter die Anzahl der selbstvermeidenden Wege A(n)=f(n)cn mit
c=2cos(π/8)=\sqrt{2+\sqrt{2}}
ist.
Das sieht nach einem elementar-mathematischen Problem aus, wurde aber erst letzten Monat von Smirnov und Duminil-Copin in ihrem Preprint The connective constant of the honeycomb lattice equals $\sqrt{2+\sqrt2}$ bewiesen. (Die Fields-Medaille hat Smirnov natürlich nicht für diesen unveröffentlichten Preprint bekommen, sondern für seine älteren Arbeiten über Perkolation.)
Noch schwieriger ist es wohl, etwas über die Funktion f(n) auszusagen, also den “subexponentiellen” Faktor vor cn. Man vermutet, daß diese Funktion asymptotisch an11/32 (mit einer Konstanten a) ist, und zwar nicht nur für das hexagonale Gitter, sondern für jedes Gitter in der Ebene.
Zum Beispiel für das unten abgebildete quadratische Gitter in der Ebene vermutet man anhand numerischer Experimente, daß c=2,638… . Die Anzahl selbstvermeidender Wege für dieses Gitter soll dann also asymptotisch an11/322,638…n sein.
Es ist schon ziemlich überraschend, daß zwar die Basis c des “exponentiellen” Faktors cn, aber nicht der Exponent 11/32 des “subexponentiellen” Faktors f(n), von der Gestalt des Gitters abhängen soll. Warum gerade 11/32?
Duminil-Copin, H., & Smirnov, S. (2012). The connective constant of the honeycomb lattice equals sqrt(2+sqrt 2) Annals of Mathematics, 175 (3), 1653-1665 DOI: 10.4007/annals.2012.175.3.14
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