Topologische Konstruktionen aus algebraischen Daten.
In den letzten Wochen hatten wir uns mit Selbstabbildungen von Flächen beschäftigt – rein topologisch, was recht mühsam war (oder jedenfalls mühsam gewesen wäre, wenn wir uns die Mühe gemacht hätten, in Einzelheiten der Beweise zu gehen). In den nächsten Wochen soll es – als eine weitere ‘Anwendung’ der Geometrisierung von Flächen – darum gehen, daß man mit hyperbolischer Geometrie die Selbstabbildungen von Flächen weitaus besser verstehen kann. Heute wollen wir zwischendurch noch den Zusammenhang zwischen Abbildungsklassengruppen und Fundamentalgrupppen klären, als eine etwas verstecktere Anwendung von hyperbolischer Geometrie.
Über die Fundamentalgruppe hatten wir zwischen Folge 21 und 31 mal geschrieben, eine Zusammenfassung ist in TvF 31. Grob gesagt besteht die Fundamentalgruppe π1S einer Fläche S aus den geschlossenen Kurven (modulo Homotopie mit festem Start- und Endpunkt p) auf der Fläche.
Zum Beispiel sind die beiden Kurven im Bild unten Elemente der Fundamentalgruppe π1T2 des Torus T2 und man kann beweisen, daß π1T2 von diesen beiden Elementen a und b ‘erzeugt’ wird (jedes Element von π1T2 ist eine Summe von Vielfachen von a und b, als Gruppe ist π1T2 also isomorph zu Z2, wobei a und b den ‘erzeugenden Elementen (1,0) und (0,1) entsprechen).
Die Abbildungsklassengruppe der Fläche bestand ja aus den (stetigen, stetig umkehrbaren) Selbstabbildungen der Fläche.
In TvF 135 ging es schon mal darum, daß man die Abbildungen der Fläche untersucht, indem man sich ihre ‘Wirkung auf Kurven’ anschaut. Insbesondere kann man sich natürlich die ‘Wirkung auf der Fundamentalgruppe’ anschauen.
Jeder Abbildungsklasse wird also ein Automorphismus der Fundamentalgruppe zugeordnet.
(Weil die Fundamentalgruppe eigentlich nur aus geschlossenen Kurven mit festem Start-und Endpunkt p besteht, muß man den Start-und Endpunkt der Bildkurven noch in den Punkt p homotopen. Dadurch bekommt man eine ‘Uneindeutigkeit modulo Konjugation’, d.h. jeder Abbildungsklasse wird ein Automorphismus modulo Konjugation – ein sogenannter äußerer Automorphismus zugeordnet.)
Im Beispiel des Torus hatten wir in TvF 134 gesehen, daß die Selbstabbildungen des Torus gerade den Matrizen in SL(2,Z), also den Automorphismen der Fundamentalgruppe Z2 entsprechen.
Stimmt es auch für Flächen mit mehreren Henkeln, daß die Abbildungsklassen eindeutig den äußeren Automorphismen der Fundamentalgruppe entsprechen?
Es ist ein allgemeines Prinzip aus der algebraischen Topologie, daß für sogenannte Eilenberg-MacLane-Räume (und dazu gehören alle Flächen mit mindestens einem Henkel) die Homotopieklassen stetiger Abbildungen eindeutig den äußeren Automorphismen der Fundamentalgruppe entsprechen. Hier, bei der Abbildungsklassengruppe, geht es allerdings nicht um stetige Abbildungen, sondern um Homöomorphismen, d.h. auch die Umkehrabbildung soll stetig sein. Deshalb kann man diesen allgemeinen Satz aus der Algebraischen Topologie nicht direkt anwenden, sondern muß eben noch beweisen, daß jeder Automorphismus der Fundamentalgruppe wirklich von einem Homöomorphismus kommt.
Also: man hat einen Automorphismus der Fundamentalgruppe und sucht eine Selbstabbildung der Fläche, die gerade diesen gegebenen Automorphismus der Fundamentalgruppe ergibt. Man will sozusagen algebraische Information in topologische umwandeln und dabei hilft einem die Geometrie.
Es ist leicht zu sehen, daß eine Selbstabbildung der Fläche durch die Wirkung auf Kurven (insbesondere auf der Fundamentalgruppe) schon eindeutig (bis auf Homotopie) festgelegt ist. Umgekehrt hat man aber ein Problem. Wenn man nur einen Automorphismus der Fundamentalgruppe gegeben hat, dann ist a priori zum Beispiel nicht klar, daß die Schnittzahl zweier Kurven erhalten bleibt – das wäre aber eine notwendige Voraussetzung, damit es eine Selbstabbildung der Fläche zu dem gegeben Automorphismus gibt.
Also: wie kann man aus dem rein algebraischen gegebenen Automorphismus der Fundamentalgruppe ablesen, ob Schnittzahlen von Kurven erhalten bleiben?
Zu einer Gruppe hat man ihren Cayleygraphen und dieser hat (oft) einen ‘Rand im Unendlichen’ (bestehend aus den ‘Endpunkten’ unendlicher Strahlen im Graphen). Das Bild oben zeigt den Cayley-Graphen einer freien Gruppe (mit 2 Erzeugern), der Rand ist in diesem Fall eine Cantor-Menge.
Für eine Fläche (mit mindestens 2 Henkeln) ist der Cayley-Graph der Fundamentalgruppe quasi-isometrisch zur hyperbolischen Ebene (darüber hatten wir in TvF 88 mal geschrieben). Insbesondere ist der Rand des Cayley-Graphen gleich dem Rand der hyperbolischen Ebene, also ein Kreis.
Ein Automorphismus der Fundamentalgruppe, eigentlich etwas ‘algebraisches’, gibt einem dann etwas ‘geometrisches’, nämlich eine Selbstabbildung des Cayley-Graphen. Man kann leicht zeigen, daß diese Abbildung eine Quasi-Isometrie ist und daraus folgt dann, daß man einen Homöomorphismus (eine stetige und steig umkehrbare Abbildung) des ‘Randes im Unendlichen’ bekommt.
Es ist ein allgemeines (mindestens seit Mostow bekanntes) Prinzip, daß Quasi-Isometrien eines negativ gekrümmten Raumes einen Homöomorphismus des ‘Randes im Unendlichen’ induzieren. In diesem konkreten Fall von Flächen gibt es auch kürzere ad hoc Beweise.
Was hilft einem nun diese Abbildung des ‘Randes im Unendlichen’ der Fundamentalgruppe? Zunächst: der ‘Rand im Unendlichen’ der Fundamentalgruppe ist gleichzeitig auch der ‘Rand im Unendlichen’ der universellen Überlagerung der Fläche (TvF 88).
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Quelle: Mathworld
Jede Kurve auf der Fläche läßt sich heben zu einer Kurve in der universellen Überlagerung mit 2 Endpunkten im ‘Rand im Unendlichen’.
Man hat also eine Entsprechung zwischen Kurven auf der Fläche und Punktepaaren auf dem Kreis.
Und – das ist der springende Punkt – Aussagen über die Schnittzahl von Kurven lassen sich ‘übersetzen’ in Aussagen über die Verlinkung ihrer Endpunkte auf dem ‘Rand im Unendlichen’. (Zwei Punktepaare auf dem Kreis sind ‘verlinkt’, wenn die Punkte des einen Paares jeweils auf unterschiedlichen Seiten der Punkte des anderen Paares liegen – d.h. falls die Reihenfolge der Punkte auf dem Kreis a,b,c,d ist, dann ist (a,c) mit (b,d) verlinkt, während (a,d) mit (b,c) nicht verlinkt ist.)
Die (aus dem gegebenen Gruppenautomorphismus konstruierte) Selbstabbildung des Kreises ist ein Homöomorphismus, insbesondere monoton, und erhält also die Verlinkungen von Punktepaaren. Daraus kann man dann herleiten, daß auch die Schnittzahlen von Kurven erhalten bleiben und damit kann man letztlich die gewünschte Selbstabbildung der Fläche konstruieren, die auf der Fundamentalgruppe den gegebenen Automorphismus ergibt. Soweit jedenfalls ganz grob der Beweis, Details findet man in Kapitel 4.1 von Farb-Margalit. (Der Beweis geht übrigens schon auf Max Dehn zurück, publiziert wurde er erstmals 1927 von Jakob Nielsen.)
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