Stabile und instabile Blätterungen.

Wir hatten in den letzten Wochen angefangen, Thurstons Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen zu beschreiben.
Das klassische (und natürlich lange vor Thurston bekannte) Beispiel hierfür ist die Klassifikation der Selbstabbildungen des Torus – hier braucht man für die Erklärung und selbst für den Beweis keine komplizierte Geometrie, sondern nur elementare Lineare Algebra.

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SL(2,Z) —> Torus

Es kam zwar schon mehrfach vor, aber trotzdem erst noch zur Erinnerung wie Matrizen aus SL(2,Z) Selbstabbildungen des Torus geben:

Sei A eine 2×2-Matrix mit ganzzahligen Einträgen und Determinante 1, also eine Matrix aus SL(2,Z).
A definiert eine lineare Abbildung A : R2–>R2, die (weil die Matrix-Einträge ganzzahlig sind) Z2 auf Z2 abbildet.
Also definiert [x] –> [Ax] eine Abbildung R2/Z2–>R2/Z2.
R2/Z2 ist der 2-Torus, also bekommen wir eine Selbstabbildung des 2-Torus.

In TvF 133 hatten wir mal erwähnt, daß jeder Homöomorphismus (d.h. jede stetige, stetig umkehrbare Selbstabbildung) sich in eine solche durch eine Matrix aus SL(2,Z) gegebene Abbildung “homotopen” (d.h. stetig deformieren) läßt. Deshalb beschäftigen wir uns im weiteren nur mit Abbildungen, die durch eine Matrix aus SL(2,Z) gegeben sind.

Die vor 2 Wochen erwähnte Unterteilung der Homöomorphismen von Flächen in periodische, reduzible und ‘andere’ Homöomorphismen läßt sich für Homöomorphismen des Torus recht leicht beschreiben.
Nämlich, man wird es an der Spur einer Matrix erkennen können, ob die zugehörige Abbildung periodisch, reduzibel oder ‘anders’ ist – je nachdem ob der Betrag der Spur kleiner als 2, gleich 2 oder größer als 2 ist..

Periodische Abbildungen des Torus

Zunächst betrachten wir ganzzahlige 2×2-Matrizen mit Determinante 1, deren Spur zwischen -2 und 2 ist. Wegen der Ganzzahligkeit muß die Spur -1 oder 0 oder 1 sein.
Das Produkt der Eigenwerte ist also 1, die Summe -1 oder 0 oder 1. Daraus kann man leicht die Eigenwerte berechnen, sie sind entweder 6-te Einheitswurzeln (falls die Spur -1 oder 1 ist) oder 4-te Einheitswurzeln (falls die Spur 0 ist). Im ersten Fall ist A6=E die Einheitsmatrix, im zweiten Fall ist A4=E. In beiden Fällen ist also die Abbildung periodisch.

Reduzible Abbildungen des Torus

Der nächste Fall sind ganzzahlige 2×2-Matrizen mit Determinante 1, deren Spur -2 oder 2 ist. Die Eigenwerte müssen dann beide -1 bzw. beide 1 sein.
Man kann die Eigenvektoren explizit ausrechnen, daß sie rationale Koordinaten haben. Deshalb gibt die Gerade durch 0 und den Eigenvektor in R2 eine geschlossene Kurve in R2/Z2. (Geraden mit rationalem Anstieg geben immer geschlossene Kurven auf dem Torus.)
A bildet diese geschlossene Kurve auf sich selbst ab. Die Abbildung ist also reduzibel.

Anosov-Abbildungen des Torus

Der interessanteste und häufigste Fall ist, daß der Betrag der Spur größer ist als 2.
Dann hat die Matrix zwei reelle Eigenwerte λ und 1/λ (denn das Produkt muß ja 1 sein), von denen der eine, o.B.d.A λ, Betrag größer 1 und der andere Betrag kleiner 1 hat: IλI > 1

Ein Beispiel dafür ist die Matrix
[ 2 1 ]
[ 1 1 ]

Diese Matrix gibt die sogenannte Katzen-Abbildung des Torus, die in dieser Reihe schon mehrmals (TvF 73, TvF 125) vorkam und deren Iterationen durch Katzenbilder veranschaulicht werden. (Die Bilder sind so verstehen, daß es sich eigentlich um Abbildungen des Torus handelt: die obere Kante des Quadrats ist mit der unteren Kante verklebt, und die rechte Kante mit der linken.)

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Man sieht, daß die Katze in eine Richtung gedehnt und in einer anderen Richtung gestaucht wird.
Die beiden Richtungen entsprechen gerade den Eigenvektoren der Matrix.

Statt mit Katzen veranschaulichen Mathematiker diese Abbildung lieber dadurch, daß sie anschauen, was auf den Parallelen zum Eigenvektor passiert. Man nimmt sich also einerseits alle Parallelen zum Eigenvektor des größeren Eigenwertes, und andererseits alle Parallelen zum Eigenvektor des kleineren Eigenwertes.

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© M.Holzapfel

(Das Bild zeigt natürlich nur einige Geraden, die zu den beiden Eigenvektoren parallel sind. In Wirklichkeit gibt es durch jeden Punkt je eine Gerade parallel zu den beiden Eigenvektoren.)

Diese beiden Scharen paralleler Geraden sind sogenannte Blätterungen der Ebene. (Wir hatten ja letzte Woche Laminierungen erklärt. Eine Blätterung ist, per Definition, eine Laminierung, die die gesamte Fläche überdeckt. D.h. jeder Punkt der Fläche gehört zu einem Blatt.)
Die Bilder der Geraden auf dem Torus geben dann jeweils eine Blätterung des Torus. Man kann nachrechnen, daß der Anstieg der Geraden irrational ist, sie gebn also wieder Geraden, keine geschlossenen Kurven, auf dem Torus.

Wir haben also einerseits eine Blätterung durch Kurven parallel zum Eigenvektor von λ und andererseits eine Blätterung durch Kurven parallel zum Eigenvektor von 1/λ

Nun wird der erste Eigenvektor durch Anwendung von A natürlich mit dem Eigenwert λ multipliziert. Wegen IλI > 1 heißt das, daß in Richtung des ersten Eigenvektors gedehnt wird.
Analog wird in Richtung des zweiten Eigenvektors gestaucht.

Für die Blätterungen heißt das: für die erste Blätterung (aus Geraden parallel zum ersten Eigenvektor) werden zwar die Abstände auf den Blättern vergrößert, die Abstände zwischen verschiedenen Blättern werden aber verringert – die “Differenz” zwischen Punkten auf unterschiedlichen Blättern hat ja eine stärkere Komponente in Richtung des anderen Eigenvektors.
Die Blätterung parallel zum Eigenvektor des größeren Eigenvektors heißt deshalb stabile Blätterung – die Abstände zwischen den Blättern werden durch Anwendung von A immer kleiner.
Analog heißt die Blätterung parallel zum Eigenvektor des kleineren Eigenvektors unstabile Blätterung – die Abstände zwischen den Blättern werden durch Anwendung von A immer größer.

Zusammengefaßt: für eine 2×2-Matrix mit Determinante 1 und Spur größer 2 (oder kleiner -2) hat man eine stabile und eine instabile Blätterung; diese Blätterungen beschreiben die Tatsache, daß in einer Richtung gestaucht und in einer anderen Richtung gedehnt wird. (Abbildungen mit dieser Eigenschaft nennt man Anosov-Abbildungen.)


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