Lieber Freund, du mußt einfach glauben; wenn du einmal zehnmal soviel Mathematik können wirst wie jetzt, so wirst du verstehen, aber einstweilen: glauben.
Ja, ich weiß, der Text wird überall zitiert, wo komplexe Zahlen erklärt werden sollen, aber trotzdem hier noch mal zum 130. Geburtstag von Robert Musil die Erklärung des Lehrers, mit der er die Fragen des Zöglings Törleß zu den komplexen Zahlen beantwortet:
Wissen Sie ich gebe ja gerne zu daß zum Beispiel diese imaginären diese gar nicht wirklich existierenden Zahlenwerte ha ha gar keine kleine Nuß für einen jungen Studenten sind. Sie müssen sich damit zufriedengeben, daß solche mathematischen Begriffe eben rein mathematische Denknotwendigkeiten sind.
Man muß die Schlöndorff-Verfilmung gesehen haben – die Darstellung des Mathe-Lehrers durch Jean Launay ist eine der lustigsten Szenen.
Als Geometer motiviert man komplexe Zahlen ja gerne als Möglichkeit, Punkte in der Ebene zu addieren und zu multiplizieren. Jeder Punkt in der Ebene wird durch zwei Größen charakterisiert: den Radius r (d.h. den Abstand vom Nullpunkt) und den Winkel φ zwischen Radius und x-Achse. Die Multiplikation zweier als komplexer Zahlen aufgefaßter Punkte erfolgt dann durch Multiplikation der Radien und Addition der Winkel – was man mit komplexen Zahlen ganz praktisch zusammenfassen kann als (r1eiφ1)(r2eiφ2)=r1r2ei(φ1+φ2).
Dann wird der Schüler natürlich fragen, warum man Punkte in der Ebene denn unbedingt multiplizieren will. Na ja, wenn man nicht gleich Julia-Mengen erklären will, bleiben immer noch genug elementargeometrische Probleme, die sich mit komplexen Zahlen leichter lösen lassen. Zum Beispiel kann man viele Aufgaben über Schnittpunkte von Kreisen durch Inversion am Kreis in einfachere Aufgaben über Schnittpunkte von Geraden übersetzen – und Inversion am (Einheits-)Kreis definiert man am einfachsten mit komplexen Zahlen, durch die Formel z —> 1 / ¯z.
Oder, wenn man die Geometrie nicht mag: in der Lösungsformel für kubische Gleichungen kommen imaginäre Zahlen vor – und zwar auch dann, wenn das Endergebnis reell ist. (Laut Wikipedia führte diese Tatsache im 16. Jahrhundert zur Anerkennung der komplexen Zahlen.)
Und natürlich in Physik oder Elektrotechnik: man beschreibt Schwingungen durch komplexe Zahlen, weil man so bequemer rechnen kann. Natürlich könnte man eigentlich statt mit eix auch gleich mit dem Realteil cos(x) rechnen – aber warum sollte man?
Ob diese Erklärungen Törleß zufrieden gestellt hätten? Es ist schon was dran, ohne Beschäftigung mit nichttrivialen Anwendungen wird einem der Nutzen komplexer Zahlen kaum einleuchten – auf rein philosophischer Ebene läßt sich Törleß’ Frage wohl kaum beantworten.
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