Ich habe gerade in die Sendung von Anne Will hineingeschaut – es geht um gehackte e-Mails, die jetzt auf WikiLeaks liegen.
Klar, WikiLeaks hat sich große Verdienste erworben – bei der Aufdeckung von Kriegsverbrechen im Irak- und Afghanistan-Krieg, von Korruption in afrikanischen Länder oder aktuell von Planungsproblemen bei der Love Parade.
Was man heute abend bei Anne Will zu hören bekam und offenbar ab morgen im SPIEGEL lesen kann, ist im Vergleich dazu aber eher albern und belanglos. Irgendein amerikanischer Botschaftsreferent hält den obersten deutschen Entwicklungshelfer für eine ‘schräge Wahl’. Muß sowas wirklich unzensiert im Netz stehen?
Um mal an einen ähnlichen Fall aus dem Wissenschaftsbetrieb zu erinnern:
Vor ziemlich genau einem Jahr gab es große Begeisterung unter den Gegnern der wissenschaftlichen Klimaforschung, als der Mailserver des klimawissenschaftlichen Instituts an der University of East Anglia gehackt wurde (offensichtlich von “Klimaskeptikern”) und dann allerlei belanglose e-Mails, etwa mit abwertenden Kommentaren einiger Klimaforscher über einzelne Forscherkollegen, in die Öffentlichkeit gelangten und dann monatelang als Argumentationshilfe gegen die Ergebnisse der Klimaforschung benutzt wurden. (Diax’s Rake hatte damals berichtet, Primaklima später auch noch, ein typisches Negativbeispiel positiver Berichterstattung ist der peinliche Artikel von Monika Armand.)
Belanglose Korrespondenzen jedem zugänglich zu machen – wem nützt das?
Die raison d’etre der Wikileaks ist die Aufdeckung von Verbrechen, meinetwegen auch von politischen Fehlentscheidungen. Nicht auf die Masse, sondern auf die Relevanz von Informationen sollte es dabei ankommen.
Wenn man jetzt anfängt, Einschätzungen irgendwelcher Mitarbeiter (wie die aktuell im Spiegel diskutierten) öffentlich zugänglich zu machen – was kommt dann als nächstes? Okay, die e-Mails der Klimaforscher, das hatten wir schon, wenn auch nicht Nachtrag 2.12.: die liegen auch bei Wikileaks. Und als nächstes die Bank- oder Gesundheitsakten aller mehr oder weniger Einflußreichen? (Oder auch nur von Leuten, die irgendwer für einflußreich hält, wie offenbar die Klimaforscher?) Danach dann die Schulzeugnisse oder Einträge in der Flensburger Verkehrssünder-Datei? Irgendwo sollte eine Grenze gezogen werden.
Einer der Gäste bei Anne Will meinte sinngemäß, Aufgabe der (klassischen) Journalisten sei es nicht nur, Informationen zu sammeln, sondern Informationen zu bewerten (auch nach Relevanz) und zu gewichten. Und diese Aufgabe würde an Bedeutung gewinnen, denn in Zukunft könne zwar jeder alle Informationen auf WikiLeaks einsehen, aber die Masse dieser Informationen mache es dem Leser unmöglich, alles zu lesen – er benötige Journalisten, die ihm sagen, welche der Informationen relevant und lesenswürdig sind.
Dem kann man nur zustimmen. Und, dieser Punkt fehlte in der Sendung, nur die relevanten Informationen, also die von allgemeinem Interesse (Korruption, Kriegsverbrechen, meinetwegen auch die Planungen zur Love Parade oder schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten), sollten dann auch bei WikiLeaks für jeden einsehbar sein.
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