Neulich beim Kaffee-Trinken ging es mal wieder darum, wie ausführlich Beweise in mathematischen Arbeiten aufzuschreiben seien.
Klar, ausführlich ist immer besser (als Leser kann man zwar vorhandene Information ignorieren, aber nicht nicht-vorhandene Information generieren), aber manchmal sind Arbeiten auch gerade schwer lesbar, weil sie zu viele den Lesefluß störende und den roten Faden verdeckende Details ausformulieren.
Die optimale Lösung dafür sind natürlich, heute in der Online-Zeit: klickbare Beweise – Kurzfassungen, die nach Anklicken einzelner Begriffe oder Sätze expandieren und dies immer weiter fortgesetzt (sozusagen selbstähnlich, sich fraktal verzweigend).
God plays Dice hatte sich darüber früher schon mal Gedanken gemacht und dabei den Teleskop-Text von Joe Davis ausgegraben.
Die Ausgangsversion von Davis’ Textes war:
I made tea.
by Joe
Nach Anklicken der einzelnen Worte bekommt man zusätzliche Informationen, also einen ausführlichen Text, in diesen ausführlicheren Texten kann man neue Worte anklicken und bekommt noch ausführlichere Informationen und das kann man dann eine ganze Weile fortsetzen, am Ende, wenn man wirklich alles angeklickt hat, was sich anklicken ließ, erhält man:
Yawning, and smearing my eyes with my fingers, I walked bleary eyed into the kitchen and filled the kettle with fresh water,water from the tap, checking with my hands to make sure it was cold enough.(The best tea comes from the coldest water). I glanced outside for a minute at the city mist. I could almost taste the grey. I plugged the kettle in and switched it on. As the kettle began to hiss, I looked for biscuits. Anything above loose crumbs would do. Thankfully I found some fusty digestives. For some reason, biscuits are always nicer when they’ve gone a bit dry and stale. I took the milk out of the fridge and poured some into a cup that I’d left outleft out from having used earlier. The kettle began grumbling fiercely so took it from the cord, threw a teabag into my cup and poured boiling water onto it. I watched brown swirls rise up through the muted white of milky water. A few minutes passed. I removed and squeezed the teabag, then flicked it into the bin. I picked up my mug and left the kitchen with a nice, hot cup of strong tea.
by Joe Michael Lambert Davis
Am besten selbst ausprobieren: www.telescopictext.com/
Mathematische Vorträge in Seminaren oder auf Tagungen werden ja oft im Prinzip durchaus so aufgebaut: man gibt erst den großen Überblick und geht dann in die Details und wenn Zeit bleibt am Ende auch noch in die Details der Details.
Es wäre natürlich einen Versuch wert, auch Veröffentlichungen oder Lehrbücher so aufzubauen, also eine Kurzfassung zu schreiben, in der Einzelheiten der Beweise oder auch andere zusätzliche Informationen dann angeklickt werden können, und das in mehreren Stufen, expandierend, wie oben in Joe Davis’ Text. (Das funktioniert dann natürlich nur für Online-Veröffentlichungen, nicht für die gedruckten Versionen.)
Auf jeden Fall würde das mehr Arbeit machen und es stellt sich die Frage, ob Aufwand und Nutzen im rechten Verhältnis stehen. Und, die Möglichkeit, quasi unbegrenzt Fußnoten von Fußnoten von Fußnoten einzufügen verführt natürlich dazu, absolut alles, was man weiß, irgendwie mit einzubauen. Aber gut, in den Geisteswissenschaften kennt man das schon lange, daß Fußnoten oft ausführlicher und interessanter sind als die Texte selbst. Und manchmal eröffnen Fußnoten ja auch ganz neue künstlerische Möglichkeiten wie in Max Frisch’s “Wilhelm Tell für die Schule”. (Aus einer literaturwissenschaftlichen Arbeit zu Frisch’s Buch: “die Grenze zwischen den Fußnoten und dem Haupttext ist nur optisch wahrzunehmen: Figuren und Schlussfolgerungen in Fußnoten der früheren oder späteren Kapitel erscheinen im Bewusstsein der Figuren im Haupttext, und die Anmerkungen sind in der Regel länger als der Haupttext, der – im Gegensatz zu den provozierten „faktischen” Narrativen – ohne Fußnoten schwer zu verstehen ist.”)
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