“Die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Definition ergibt sich in der Regel dann wenn im Laufe des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes eine Hypothese eine Theorie aufgestellt oder ein Modell erzeugt wird welche von verschiedenen Wissenschaftlern nachvollzogen und diskutiert werden sollen. Um den Kriterien der Wissenschaftlichkeit zu genügen muss deshalb Einvernehmen über die Bedeutung der verwendeten Begriffen herrschen. “ (Quelle)
Modulraum hyperbolischer Metriken – formale Definition
In dieser Serie geht es ja um die Nützlichkeit von Geometrisierung bei der mathematischen Untersuchung von Flächen. Insbesondere um die Nützlichkeit von hyperbolischer Geometrie: Jede Fläche mit mindestens 2 Henkeln hat hyperbolische Metriken (TvF 66, TvF 69) und mit diesen hyperbolischen Metriken kann man viele Phänomene auf Flächen besser verstehen.
Oft ist es aber nützlich, nicht nur eine hyperbolische Metrik auf einer Fläche zu haben, sondern den Raum aller hyperbolischen Metriken auf der Fläche zu verstehen, den sogenannten Teichmüller-Raum. (Zum Beispiel, wenn man die Abbildungsklassengruppe der Fläche untersuchen will.)
Nachdem wir letzte Woche und vor Silvester schon plausibel gemacht, daß der Raum aller hyperbolischen Metriken 6g-6-dimensional sein sollte, ist es an der Zeit, auch eine formale Definition zu geben.
Wenn man auf einer Fläche S eine hyperbolische Metrik hat und dann mit einem Diffeomorphismus φ:S–>S die Metrik zurückzieht, dann bekommt man eine neue hyperbolische Metrik, die man aber eigentlch als äquivalent zur ursprünglichen Metrik ansehen sollte, denn sie ist ja eigentlich nur durch einen “Koordinatenwechsel” aus der ursprünglichen Metrik hervorgegangen.
Insofern ist die naheliegende klassische Definition des Modulraums der hyperbolischen Metriken diejenige, daß man M(S)=Hyp(S)/Diff(S), die Menge der hyperbolischen Metriken modulo Diffeomorphismen, betrachtet.
Für viele Anwendungen ist es aber besser, statt mit M(S) mit dem (topologisch einfacheren) Teichmüllerraum T(S)=Hyp(S)/Diff0(S) zu arbeiten, also dem Quotienten nur bezüglich derjenigen Diffeomorphismen, die homotop zur Identitätsabbildung sind.
(Dieser Raum ist kontrahierbar und man hat auf diesem Raum dann eine Wirkung der Abbildungsklassengruppe MCG(S):=Diff(S)/Diff0(S), weshalb er auch ein wichtiges Hilfsmittel bei der Untersuchung der Abbildungsklassengruppe ist.)
Wie definiert man nun eine Topologie auf dem Teichmüller-Raum? Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten (Teichmüllers ursprüngliche Konstruktion einer Teichmüller-Metrik z.B. benutzt quasikonforme Abbildungen zwischen den hyperbolischen Flächen), ein recht einfacher Zugang benutzt Darstellungen der Fundamentalgruppe:
Teichmüller-Raum und Darstellungen der Fundamentalgruppe
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Quelle: Mathworld
Wenn man auf einer (geschlossenen, orientierten) Fläche eine hyperbolische Metrik hat, dann ist die universelle Überlagerung die hyperbolische Ebene und die Symmetrien der Überlagerug sind Isometrien der hyperbolischen Ebene. Die Elemente der Fundamentalgruppe π1S entsprechen den Symmetrien der universellen Überlagerung, also gibt die hyperbolische Metrik eine Darstellung der Fundamentalgruppe π1S als Untergruppe der (orientierungs-erhaltenden) Isometrien der hyperbolischen Ebene Isom+(H2)=PSL(2,R)=SL(2,R)/{±I}. Diese Darstellung ist ‘treu’ (unterschiedliche Elemente von π1S werden auf unterschiedliche Isometrien abgebildet) und ‘diskret’ (es gibt keine Häufungspunkte).
Sei DF(π1S,PSL(2,R)) die Menge der diskreten, treuen Darstellungen von π1S in PSL(2,R) und DF(π1S,PSL(2,R)/PSL(2,R)) der Quotient bzgl. der Wirkung durch Konjugation.
Man kann dann beweisen (siehe Farb-Margalit, Proposition 10.2 oder Burger-Iozzi-Wienhard, Theorem 2.5), daß es eine Bijektion zwischen dem Teichmüllerraum und DF(π1S,PSL(2,R))/PSL(2,R) gibt.
Auf DF(π1S,PSL(2,R)) gibt es eine naheliegende Topologie: man nimmt sich 2g Erzeuger von π1S, dann ist eine Darstellung π1S–>PSL(2,R) eindeutig bestimmt durch die Werte der 2g Erzeuger, also durch 2g Elemente in PSL(2,R). DF(π1S,PSL(2,R)) ist also eine Teilmenge von (PSL(2,R))2g und erbt dessen Topologie. (Wenn man ein anderes Erzeugendensystem wählt, bekommt man eine andere Teilmenge von (PSL(2,R))2g, aber dieselbe Topologie.) Auf DF(π1S,PSL(2,R))/PSL(2,R) hat man dann die Quotiententopologie und wegen DF(π1S,PSL(2,R))/PSL(2,R)=T(S) definiert das eine Topologie auf dem Teichmüller-Raum T(S).
Dimension des Teichmüller-Raums
Wir hatten ja letzte Woche schon (mit Hilfe der Fenchel-Nielsen-Koordinaten) plausibel gemacht, daß der Teichmüller-Raum (für eine Fläche mit g Henkeln) 6g-6-dimensional sein sollte. Mit der eben definierten Topologie auf dem Teichmüller-Raum kann man das dann auch beweisen (siehe Farb-Margalit, Theorem 10.6): die Fenchel-Nielsen-Koordinaten geben einen Homöomorphismus zwischen dem Teichmüller-Raum und R6g-6.
(Nebenbei bemerkt liefert die Interpretation des Teichmüller-Raums durch Darstellungen neben dem exakten Beweis noch ein drittes Plausibilitätsargument für die 6g-6-Dimensionalität: die Lie-Gruppe PSL(2,R) ist 3-dimensional, also ist PSL(2,R)2g 6g-dimensional; π1S hat 2g Erzeuger und eine Relation, wegen dieser Relation müssen die Darstellungen eine Matrix-Gleichung erfüllen, die Lösungsmenge dieser Gleichung ist eine 6g-3-dimensionale Teilmenge von PSL(2,R)2g. Der Quotient bzgl. der PSL(2,R)-Wirkung ist dann 6g-6-dimensional.)
Es gibt übrigens auch eine Verallgemeinerung der Teichmüller-Theorie, sogenannte Higher Teichmüller Theory, bei der man Darstellungen in beliebige Lie-Gruppen G betrachtet, also geeignete Teilmengen von Hom(π1S,G)/G.
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