“Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen, keinerlei Mystik; Mathematik genügt mir.”
Heute ist der 100. Geburtstag von Max Frisch, was mich daran erinnert, daß ich vor 2 Monaten nach den Artikeln über Wahrscheinlichkeit Null und Unwahrscheinliches noch etwas über Wahrscheinlichkeitstheorie in den Romanen von Max Frisch hatte schreiben wollen. Stattdessen heute zum Jubiläum nur ein paar Zitate aus dem Homo Faber (Seitenzahlen beziehen sich auf die Suhrkamp-Ausgabe).
S.26f:
Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen, keinerlei Mystik; Mathematik genügt mir.
Mathematisch gesprochen:
Das Wahrscheinliche (daß bei 6 000 000 000 Würfen mit einem regelmäßigen Sechserwürfel annähernd 1 000 000 000 Einser vorkommen) und das Unwahrscheinliche (daß bei 6 Würfen mit demselben Würfel einmal 6 Einser vorkommen) unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur der Häufigkeit nach, wobei das Häufigere von vornherein als glaubwürdiger erscheint. Es ist aber, wenn einmal das Unwahrscheinliche eintritt, nichts Höheres dabei, keinerlei Wunder oder Derartiges, wie es der Laie so gerne haben möchte. Indem wir vom Wahrscheinlichen sprechen, ist ja das Unwahrscheinliche immer schon inbegriffen und zwar als Grenzfall des Möglichen, und wenn es einmal eintritt, das Unwahrscheinliche, so besteht für unsereinen keinerlei Grund zur Verwunderung, zur Erschütterung, zur Mystifikation.
Vergleiche hierzu:
Ernst Mally Wahrscheinlichkeit und Gesetz, ferner Hans Reichenbach Wahrscheinlichkeitslehre, ferner Whitehead und Russel Principia Mathematica, ferner v. Mises Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit.
(Die Literaturhinweise stehen so bei Frisch im Original, einschließlich des fehlenden l bei Russell.)
S.91:
Ich erklärte, was die heutige Kybernetik als Information bezeichnet: unsere Handlungen als Antworten auf sogenannte Informationen, beziehungsweise Impulse, und zwar sind es automatische Antworten, größtenteils unserem Willen entzogen, Reflexe, die eine Maschine ebensogut erledigen kann wie ein Mensch, wenn nicht sogar besser. […] Ich verwies auf Norbert Wiener: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, M.I.T. 1948. […] In einer Minute 2 000 000 Additionen oder Subtraktionen! In ebensolchem Tempo erledigt sie eine Infinitesimal-Rechnung, Logarithmen ermittelt sie schneller, als wir das Ergebnis ablesen können, und eine Aufgabe, die bisher das ganze Leben eines Mathematikers erfordert hätte, wird in Stunden gelöst und zuverlässiger gelöst, weil sie, die Maschine, nichts vergessen kann, weil sie alle eintreffenden Informationen, mehr als ein menschliches Hirn erfassen kann, in ihre Wahrscheinlichkeitsansätze einbezieht.
S.160ff:
Die Mortalität bei Schlangenbiß (Kreuzotter, Vipern aller Art) beträgt drei bis zehn Prozent, sogar bei Biß von Kobra nicht über fünfundzwanzig Prozent, was in keinem Verhältnis steht zu der abergläubischen Angst vor Schlangen, die man allgemein noch hat.
[…]
Ich fragte Hanna, wieso sie nicht an Statistik glaubt, statt dessen aber an Schicksal und Derartiges. “Du mit deiner Statistik!” sagt sie. “Wenn ich hundert Töchter hätte, alle von einer Viper gebissen, dann ja! Dann würde ich nur drei bis zehn Töchter verlieren. Erstaunlich wenig!”
S.205
Meine Operation wird mich von sämtlichen Beschwerden für immer erlösen, laut Statistik eine Operation, die in 94,6 von 100 Fällen gelingt, und was mich nervös macht, ist lediglich diese Warterei von Tag zu Tag.
Außerdem wird im Buch (ohne weitere Erläuterung) erwähnt, daß Faber seine Dissertation über den LaplaceMaxwellschen Dämon schreiben wollte, die Arbeit aber erfolglos abgebrochen hat.
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