Was ist K-Theorie?

Letzte Woche hatten wir erwähnt, daß die verschiedenen Beweise dafür, daß es außer reellen und komplexen Zahlen, Quaternionen und Oktaven keine weiteren Divisionsalgebren (und sogar überhaupt keine weiteren nullteilerfreien Multiplikatonen auf Rn) gibt, daß die Beweise dafür alle K-Theorie benutzen. Da bietet es sich natürlich an, abschweifend vom eigentlichen Thema, mal kurz einen Exkurs über K-Theorie einzuschieben.

Was also ist eigentlich K-Theorie? Zunächst, es gibt topologische und algebraische K-Theorie – letztere geht auf den kürzlich verstorbenen Mathematiker Quillen zurück; hier geht es heute aber um topologische K-Theorie.
(Außerdem gibt es noch K-Theorie von C*-Algebren, das ist eine nichtkommutative Version der topologischen K-Theorie: für die (kommutaive) C*-Algebra C(X) der stetigen (komplex-wertigen) Funktionen auf einem kompakten metrischen Raum ist ihre K-Theorie gleich der topologischen K-Theorie K(X), nach Gelfand-Neumark – man kann die K-Theorie aber auch für nichtkommutative Algebren definieren, das ist eine der wichtigsten Invarianten in nichtkommutativer Geometrie. Mit algebraischer K-Theorie hat diese Definition übrigens, außer für K0, nicht viel zu tun.)

Bei Topologischer K-Theorie geht es um Vektorbündel.

Ein Beispiel eines Vektorbündels über einer Fläche, das hier in der Reihe schon häufiger vorkam, ist das Tangentialbündel der Fläche:

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Quelle: https://www2.scc-fl.edu/lvosbury/CalculusIII_Folder/ExamplesForSection127.htm

Über jedem Punkt der Fläche hat man einen (2-dimensionalen) Vektorraum. Insgesamt hat man also ein ‘Bündel’ von Vektorräumen.

Die Definition von ‘Vektorbündel über einem Raum X’ allgemein ist. daß man über jedem Punkt von X einen Vektorraum hat, daß das Bündel ‘lokal trivial’ ist (es zu jedem Punkt eine Umgebung U gibt, über der sich das Bündel als Produkt UxRn schreiben läßt) und daß die Kartenwechsel des Bündels lineare Abbildungen Rn–>Rn sind.
Das Tangentialbündel einer Fläche (oder allgemein einer Mannigfaltigkeit) ist ein Vektorbündel: die Kartenwechsel des Tangentialbündels sind gerade die Differentiale der Kartenwechsel der Fläche, insbesondere sind sie lineare Abbildungen.

Nun kann man natürlich fragen, wieviele verschiedene Vektorbündel es über einem Raum X gibt.

Zunächst hat man selbstverständlich immer die trivialen Bündel XxRn, n=1,2,3,4,…

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Das erste Beispiel eines nichttrivialen Bündels ist das (unendliche) Möbiusband, als 1-dimensionales Vektorbündel über dem Kreis S1:

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Jeder Punkt in S1 hat eine Umgebung U, über der das Bündel trivial ist, auch kann man die Kartenwechsel durch lineare Abbildungen realisieren, es handelt sich also tatsächlich um ein Vektorbündel. Das Vektorbündel ist aber nicht trivial: das Möbiusband ist nicht S1xR1.

Vektorbündel über einem Raum X kann man ‘addieren’ (direkte Summe) und ‘multiplizieren’ (Tensorprodukt). Die Menge Vect(X) der (Isomorphieklassen der) Vektorbündel über X bildet also einen Halbring.

Subtrahieren kann man Vektorbündel i.a. eigentlich nicht. Um aus dem Halbring Vect(X) einen Ring (mit Subtraktion) zu machen, kann man aber einfach die formalen Differenzen mit dazunehmen, d.h. man erweitert den Halbring Vect(X) um die formalen Differenzen E-F von Vektorbündeln. Den dadurch erhaltenen Ring KO(X) bezeichnet man als ‘reelle K-Theorie’ von X.
In der Mathematik wird häufiger mit der komplexen K-Theorie K(X) gearbeitet. Diese erhält man, indem man nur komplexe Vektorbündel betrachtet und dann wieder deren formale Differenzen hinzunimmt.

Für X=Punkt zum Beispiel ist natürlich jedes Vektorbündel trivial, d.h. von der Form XxRn für eine natürliche Zahl n, der Halbring Vect(Punkt) entspricht also den natürlichen Zahlen, und wenn man formale Differenzen n-m hinzunimmt, bekommt man die ganzen Zahlen: KO(Punkt)=Z.

Auch über jedem anderen Raum hat man natürlich mindestens die trivialen Vektorbündel, KO(X) hat also immer eine Untergruppe Z, die zu den ganzen Zahlen isomorph ist. Man betrachtet dann den Quotienten KO~(X)=KO(X)/Z, wo man also die trivialen Bündel herauskürzt.

Für den Kreis X=S1 hat man außerdem noch das weiter oben abgebildete Möbiusband und man kann beweisen, daß sich jedes andere nichttriviale Vektorbündel als direkte Summe aus dem Möbiusband und trivialen Vektorbündeln zerlegen läßt. Damit bekommt man KO~(S1)=Z/2Z.

Ähnlich sieht es für die Sphäre X=S2 aus: hier gibt es neben den trivialen Bündeln noch das Tangentialbündel, welches nicht trivial ist. Die Nichttrivialität des Tangentialbündels folgt zum Beispiel aus dem letzte Woche erwähnten ‘Satz vom gekämmten Igel, welcher besagt, daß jedes Vektorfeld (d.h. jede differenzierbare Abbildung S2–>TS2, die jedem Punkt einen Tangentialvektor im selben Punkt zuordnet) mindestens eine Nullstelle haben muß – in einem trivialen Vektorbündel könnte man natürlich Abbildungen ohne Nullstellen, z.B. konstante Abbildungen, konstruieren.
Auch hier bekommt man wieder, daß dies alle nichttrivialen Bündel liefert, also KO~(S2)=Z/2Z.

Analog kann man versuchen, KO(Sn) für höher-dimensionale Sphären zu berechnen. Der Bottsche Periodizitätssatz besagt nun, daß es dabei eine Periodizität gibt: KO(Sn+8) ist immer isomorph zu KO(Sn), der Isomorphismus ensteht durch ‘Multiplikation’ mit dem zur Hopf-Faserung S15—>S8 assoziierten Vektorbündel.
Mit diesem Periodizitätssatz (bzw. von Bott aus dem Periodizitätssatzes hergeleiteten Teilbarkeitseigenschaften charakteristischer Klassen) hatte Milnor dann bewiesen, daß S1,S3,S7 die einzigen parallelisierbaren Sphären sind und es deswegen nullteilfreie Multiplikationen auf Rn nur für n=1,2,4,8 geben kann. Adams und Atiyah hatten dann später mit Hilfe von Operationen auf der (komplexen) K-Theorie auch noch die genaue maximale Anzahl linear unabhängiger Vektorfelder auf Sn hergeleitet.


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