Mathematiker beweisen Unmöglichkeit 5-zähliger Symmetrie, Physiker findet diese in einem Metall und erhält Chemie-Nobelpreis.
So könnte man die Geschichte des Chemie-Nobelpreises 2011 kurz zusammenfassen.
Worum geht es?
Lange ging man davon aus, daß Kristalle gitterförmig angeordnet sind. Das Bild unten zeigt die Struktur von Natriumchlorid (Kochsalz):
Neben den Translationssymmetrien haben manche Gitter noch zusätzliche Rotationssymmetrien. Das NaCl-Gitter zum Beispiel hat Rotationssymmetrien der Ordnung 4. (Heißt: viermalige Hintereinanderausführung der Rotationssymmetrie gibt die Identitätsabbildung.)
Das NaCl-Gitter liefert einem auch eine Parkettierung des 3-dimensionalen Raumes durch Würfel, mit derselben Symmetriegruppe.
Schon lange bekannt sind die 17 möglichen Symmetriegruppen von Parkettierungen der Ebene, alle 17 finden sich (zumindest wenn man farbenblind ist) in der Alhambra:
George Polya hat 1924 bewiesen, daß es neben den 17 bekannten keine weiteren Symmetriegruppen von Parkettierungen in der Ebene geben kann.
Aus der Klassifikation der 17 ebenen kristallografischen Gruppen ergibt sich insbesondere, daß alle Rotationssymmetrien die Ordnung 2,3,4 oder 6 haben müssen, also Drehungen um 180o, 120o, 90o oder 60o sind.
Man weiß aber schon seit den 60er Jahren, daß es aperiodische Pflasterungen der Ebene gibt, also Pflasterungen der Ebene mit endlich vielen Prototypen, deren Symmetriegruppe nicht kokompakt ist:
In Dimension 3 gibt es ebenfalls eine Klassifikation der (kokompakten) Symmetriegruppen von Parkettierungen des 3-dimensionalen Raumes. Diese ist erstaunlicherweise älter als der Beweis der 2-dimensionalen Klassifikation: sie wurde 1891 unabhängig durch Fjodorow und Schoenflies bewiesen, es gibt 230 mögliche Symmetriegruppen.
Auch im 3-dimensionalen Fall müssen alle Rotationssymmetrien die Ordnung 2,3,4 oder 6 haben.
Deshalb war es eine große Überraschung als Daniel Shechtman eine Kristallstruktur mit Rotationssymmetrien der Ordnung 5 (und sogar der Ordnung 10) entdeckte. Es dauerte einige Zeit bis seine Entdeckung wirklich anerkannt wurde. Linus Pauling zum Beispiel wird im Guardian so zitiert:
“Danny Shechtman is talking nonsense. There is no such thing as quasicrystals, only quasi-scientists.”
Die Arbeit Metallic phase with long-range orientational order and no translational symmetry von Shechtman-Blech-Gratias-Cahn wurde 1984 in Physical Review Letters veröffentlicht, sie beschreibt ein Metall, dessen Symmetriegruppe nicht kokompakt ist (also nicht in die Klassifikation der 230 bekannten kokompakten kristallografischen Gruppen fällt) und die die Symmetriegruppe eines Ikosaeders als Untergruppe enthält, insbesondere also Rotationen der Ordnung 5. Solche Strukturen mit nicht-kokompakten Symmetriegruppen nennt man heute Quasikristalle.
Kommentare (23)