Gödels Unvollständigkeitssatz – oft von raunenden Philosophen zitiert – jeder hat davon gehört, nicht jeder kennt den genauen Inhalt.
Literatur dazu ist zahlreich, aber meist richtet sie sich entweder an den mathematischen Logiker oder aber bleibt im Allgemeinen und vermeidet den eigentlichen mathematischen Inhalt. Diese Lücke füllt jetzt ein neu erschienenes Buch von Dirk W. Hoffmann: “Grenzen der Mathematik”.
Sehr zu empfehlen für jeden, der sich – mit ein wenig Interesse an Mathematik, aber ohne gleich sämtliche technischen Details des Beweises verstehen zu wollen – über den Inhalt und die Konsequenzen des Gödelschen Unvollständigkeitssatzes informieren und die dahinterstehenden Ideen (und die neueren Entwicklungen) verstehen möchte
Das Buch beginnt mit einem 70 Seiten langen 1.Kapitel “Historische Notizen” und diese historischen Notizen zu lesen lohnt sich auch dann, wenn man sich danach nicht weiter in die Subtilitäten der Mathematischen Logik eindenken will. Nach einer kurzen Einführung in “Wahrheit und Beweisbarkeit” am Beispiel der Goldbach-, Primzahlzwillings- und Fermat-Vermutung geht es auf diesen 70 Seiten um den “Weg zur modernen Mathematik”. Der beginnt mit diophantischen Gleichungen, irrationalen und transzendenten Zahlen, setzt sich fort mit Cantors Arbeiten über Mächtigkeit von Mengen, Freges symbolischer Logik und Russells Antinomie, Hilberts Gedanken zur Widerspruchsfreiheit, der Axiomatisierung der Mengenlehre nach Zermelo-Franekel, und Gödels Beitrag zu Hilberts Programm, und kommt schließlich zu Turing-Maschinen und den Grenzen der Berechenbarkeit, Gödels Beweis der Verträglichkeit der Kontinuumshypothese mit der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre und schließlich der Unentscheidbarkeit der Kontinuumshypothese nach Cohen.
Man findet in dem Kapitel auch zwei Beispiele wahrer Aussagen, die sich in der Peano-Arithmetik formulieren, aber nicht beweisen lassen: das Paris-Harrington-Theorem und der Satz von Goodstein.
Die weiteren im Buch behandelten Themen:
Kapitel 2 “Formale Systeme” ist eine Einführung in die Aussagen- und Prädikatenlogik mit vielen ‘praktischen’ Beweis-Beispielen.
In Kapitel 3 “Fundamente der Mathematik” geht es sehr ausführlich um die Peano-Arithmetik und die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre, als ‘praktisches’ Beispiel ein 90-schrittiger Beweis der Komponentengleichheit gleicher geordneter Paare.
In Kapitel 4 “Beweistheorie” geht es um viele mathematische Aspekte der Gödelschen Unvollständigkeitssätze, nebenbei werden noch 6 populäre Mißverständnisse aufgeklärt, zum Beispiel
Mißverständnis 1: Gödel hat gezeigt, dass in der Mathematik wahre Sätze existieren, die nicht beweisbar sind.
Aus dem Gödel’schen Unvollständigkeitssatz wird des öfteren der falsche Schluss gezogen, dass in der Mathematik Sätze existieren, die in einem absoluten Sinn unbeweisbar sind. Das Missverständnis klärt sich auf, wenn wir uns daran erinnern, was es heißt, etwas zu beweisen. Im formalen Sinne ist eine Formel φ beweisbar, wenn sie aus den Axiomen eines Kalküls durch die Anwendung von Schlussregeln hergeleitet werden kann. Das bedeutet, dass der Beweisbarkeitsbegriff immer an einen bestimmten Kalkül gekoppelt ist. Es ist leicht einzusehen, dass für jede Formel φ ein Kalkül existiert, in dem φ bewiesen werden kann. Folgerichtig ist die Beweisbarkeit immer eine relative Eigenschaft und niemals eine absolute.
Als Beispiel soll die Formel φ für die Goldbach’sche Vermutung stehen, von der wir heute nicht wissen, ob sie in der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre bewiesen werden kann oder nicht. Sollte sich herausstellen, dass φ in ZF unbeweisbar ist, so könnten wir φ zu den Axiomen hinzufügen und erhielten mit ZF u {φ} ein formales System, in dem die Goldbach’sche Vermutung beweisbar ist. Ob es sinnvoll ist, das Gebäude der Mathematik auf diesem Kalkül zu errichten, ist eine andere Frage.
Auch in der gewöhnlichen Mathematik ist der Begriff der Beweisbarkeit an einen Kalkül gekoppelt, allerdings wird er dort weder explizit genannt, noch werden Beweise für gewöhnlich auf der formalen Ebene aufgeschrieben. Hier meinen wir mit “beweisbar”, dass eine Aussage im gewöhnlichen “Schlussapparat der Mathematik” abgeleitet werden kann. Das formale Pendant zu diesem Schlussapparat ist die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre, repräsentiert durch die Systeme ZF und ZFC.
In Kapitel 5 “Berechenbarkeitstheorie” geht es um die Möglichkeiten und Grenzen der algorithmischen Methode, mit Original-Routinen aus der Konstruktion von Turings universeller Maschine und mit einigen Konsequenzen der Berechenbarkeitstheorie für die Beweistheorie (Unlösbarkeit des Hilbert’schen Entscheidungsproblems, Unvollständigkeit der Arithmetik, Unlösbarkeit des zehnten Hilbert’schen Problems).
Kapitel 6 stellt die Grundidee der “Algorithmischen Informationstheorie” (u.a Turings Halteproblem und Chaitins Konstante) dar und in Kapitel 7 geht es um die Anfänge der Modelltheorie.
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