El Naschie will Millionen?
In London läuft seit einigen Tagen ein Verleumdungsprozeß gegen “Nature”. Kläger ist Mohamed El Naschie, es geht um einen Artikel von Quirin Schiermeier, der Ende 2008 veröffentlicht worden war und sich mit El Naschies Tätigkeit als Herausgeber von “Chaos, Solitons and Fractals” befaßte. (Über diese Zeitschrift hatten wir hier, hier und hier geschrieben.)
El Naschie war seinerzeit vorgeworfen worden, seine Position als Herausgeber von “Chaos, Solitons and Fractals” für die massenhafte Publikation eigener zweifelhafter Veröffentlichungen zu nutzen. In einer dieser veröffentlichten Arbeiten hatte er zum Beispiel herausgefunden, daß die Anzahl der 2- und 3-Steinräume gerade 686=5×137+1 ist, was auf einen überraschenden Zusammenhang mit der Feinstrukturkonstante α, deren Inverses gerade 1/α=137,036… ist, hindeuten sollte. In einer anderen Arbeit diskutierte er Ansätze für eine allgemeine En-Theorie, die auf Basis der Lie-Gruppe En Garrett Lisis E8-Theorie verallgemeinern sollte und dabei offenbar das Problem überwand, daß es exzeptionelle Lie-Gruppen En nur für n=6,7,8 gibt. Insgesamt soll El Naschie 322 seiner eigenen Arbeiten in “Chaos, Solitons and Fractals” untergebracht haben. Auch Freunde und Bekannte durften allerlei Skurilles veröffentlichen. Der berüchtigte Multi-Editor Ji-Huan He zum Beispiel war ein häufiger Autor in “Chaos, Solitons and Fractals” (eine offensichtlich auf einer Verwechslung der ähnlich klingenden Begriffe ‘Hilbert cube’ and ‘Hilbert curve’ aufbauende Publikation hatten wir hier besprochen) ebenso wie der berühmte Universal-Gelehrte Otto Rössler, der dort seine mathematik-freien Verbalassoziationen zur Relativitätstheorie unterbringen konnte.
DIe Geschichte erregte damals einiges Aufsehen, weil sie an einem extremen Beispiel die leichte Manipulierbarkeit scheinbar objektiver Kenngrößen aufzeigte: Chaos, Solitons and Fractals war mit dem Impakt Faktor 3,025 auf Platz 2 der mathematischen Zeitschriften hinter dem gleichermaßen umstrittenen International Journal of Nonlinear Science and Numerical Simulation. Noch bemerkenswerter: im Jahr 2010 belegte die Universität Alexandria Platz 4 (nach Anzahl der zitierten Arbeiten) im weltweiten Forschungs-Ranking, hinter CalTech, MIT und Princeton, vor Harvard und Stanford. Diese absurd hohe Platzierung verdankte sie ausschließlich den Zitierungen El Naschies.
El Naschie hatte seinerzeit nach dem Bekanntwerden seiner Aktivitäten übrigens nicht nur “Nature” sondern auch der ZEIT mit einer Klage gedroht, wir hatten hier und hier darüber berichtet. El Naschies Klage wurde vom Hamburger Landgericht abgewiesen und die ZEIT konterte sogar mit einer erfolgreichen Gegenklage: u.a. wurde es El Naschie untersagt, Behauptungen über eine angebliche Zusammenarbeit der ZEIT mit El Naschie Watch aufzustellen.
Während eine ähnliche Klage in Hamburg also schnell abgewiesen wurde, kommt es in London jetzt zu einem aufwändigen Prozeß, in den “Nature” nach eigenen Angaben “hundreds of hours of staff time” investieren mußte. (Die Diskussion über das englische “libel law”, welches auch Kritik an Pseudo-Wissenschaft unter Strafe stellt, ist ja allgemein bekannt.)
Worum geht es in der Klage?
Gegenstand der Klage ist der Artikel “Self-publishing editor set to retire” von Quirin Schiermeier. Der Artikel wurde durch “Nature” (wegen der Klage) offline gestellt, eine illegale Kopie findet sich aber noch hier.
Die Klage im Wortlaut:
It is the Claimant’s case that the offending article bore the following natural and ordinary meanings:
i) The Claimant has improperly misused his editorial privileges as Editor-in-Chief of the journal Chaos, Solitons and Fractals, in order to self-publish numerous papers he had written, which would not have been published elsewhere as they were of poor quality and had received no, or very poor, peer-review, thereby creating a falsely high rate of citation for his own work and a falsely high impact factor for the journal which he edited; and/or
ii) The Claimant has lied on his website about his academic and professional affiliations, in particular his false claim to be a Distinguished Fellow of the Institute of Physics at the Johann Wolfgang Goethe University in Frankfurt, Germany, as well as his false, or probably false, claims to be an adviser to the Egyptian Ministry for Science and Technology and a principal adviser to the Ministry of Science and Technology of Saudi Arabia; and/or
iii) The Claimant’s lie about his affiliation to the Johann Wolfgang Goethe University in Frankfurt, Germany was so bad that Walter Greiner, a former director of the Institute of Physics at the Goethe University, had asked for his name to be removed from the Honorary Editorial Board of the journal Chaos, Solitons and Fractals, a request which the Claimant has deliberately ignored; and/or
iv) In the premises, the Claimant was unfit to act as Editor-in-Chief of the journal Chaos, Solitons and Fractals and has been forced to retire.
Nature’s Klageerwiderung kann man hier nachlesen.
Die von El Naschie engagierten Anwaltskanzleien (erst Howrey, dann Collyer Bristow) haben beide inzwischen den Fall abgegeben, was sicher einiges über die Erfolgsaussichten der Klage aussagt.
Ein Kuriosum am Rande: beide Seiten dürfen 3 Experten benennen und vor Gericht aussagen lassen – von dieser Möglichkeit ist der Kläger offenbar nicht sehr begeistert, wie man den Prozeßakten entnehmen kann:
The Claimant is somewhat dismissive of the relevance of expert evidence in this case, largely on the basis that his field of special scientific knowledge is so narrow and fluid that it is difficult for him to conceive of anyone qualifying as having sufficient “expert” knowledge of the field.
Der Prozeß läuft seit letztem Donnerstag, diese Woche werden die Zeugen vernommen. Der Materialwissenschaftler Benjamin De Lacy Costello aus Bristol, seinerzeit einer der Mit-Herausgeber von “Chaos, Solitons and Fractals”, sagte (laut New Scientist) am Dienstag als Zeuge aus, daß der Peer-Reviewing-Prozeß bei “Chaos, Solitons and Fractals” frustrierend und anders als bei anderen Zeitschriften gewesen sei.
Über den Fortgang des Prozesses wird stets tagesaktuell bei El Naschie Watch berichtet.
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