Doch keine Beweise für Wahlbetrug??
Wir hatten hier ja vor einigen Tagen über die Demonstrationen gegen den Wahlbetrug in Rußland berichtet. Auf dem ArXiv liegt nun heute ein Artikel Mathematical proof of fraud in Russian elections unsound von Michael Simkin, in dem bewiesen werden soll, daß die Hinweise auf Wahlbetrug keine mathematische Grundlage hätten. (Simkin ist ein Physiker an der Elektrotechnik-Fakultät der UCLA, der häufig mit ungewöhnlichen Forschungsprojekten von sich reden macht. Seine statistische Analyse moderner Kunst brachte es sogar in die NZZ.)
Das erste, was an diesem Artikel auffällt, ist seine Kürze: er ist nur 3 Seiten lang, davon zwei halbseitige Fotos und eine halbseitige Einleitung. Die Analysen, die in diesem Artikel widerlegt werden sollen, waren erheblich umfangreicher. Der Beitrag von Dimitri Kobak zum Beispiel dürfte ausgedruckt ca. 10 Seiten lang sein, ganz ohne Fotos, dafür aber voller Diagramme und Grafiken. Aber gut, es mag ja gelegentlich vorkommen, daß lange Analysen schon durch ein kurzes Gegenargument entkräftet werden können.
Was also ist nun Simkins Argument, mit dem er die langen Analysen der Wahlstimmenverteilung in Rußland entkräftet und ihnen die wissenschaftliche Grundlage entzieht. Ich versuche mich mal an einer Übersetzung der relevanten Abschnitte:
Betrachten Sie eine Urne mit einer weißen und einer schwarzen Kugel. Lassen Sie uns eine zufällige Kugel aus der Urne ziehen, notieren Sie ihre Farbe und legen sie die Kugel zurück. Wenn wir eine große Anzahl von solchen unabhängigen Versuchen machen, wird der Anteil der gezogenen weißen Kugeln normalverteilt werden. Das liegt daran, daß die Farbe der diesmal gezogenen Kugel ziehen nicht von der Farbe der in den vorhergehenden Versuchen gezogenen Kugel abhängt: die Unabhängigkeit der Versuche. Im Fall von Wahlen bedeutet Unabhängigkeit der Versuche, daß die Menschen ihre politischen Ansichten unabhängig von ihren Nachbarn, Kollegen und Freunden bilden. Zur Berücksichtigung abhängiger Ereignisse hat Markov [2] das Modell auf folgende Weise modifiziert. Die Urne enthält zunächst eine weiße und eine schwarze Kugel. Wir ziehen eine zufällige Kugel, legen sie dann wieder zurück und legen zusätzlich eine weitere Kugel der gleichen Farbe in die Urne. Nach zwei Versuchen können wir entweder zwei schwarze, zwei weiße oder eine schwarze und eine weiße Kugel gezogen haben. Grundschule Kombinatorik zeigt, daß diese drei Kombinationen gleich wahrscheinlich sind. Die Anzahl der gezogenen weißen Kugeln können 0, 1 oder 2 sein, und jede dieser Zahlen hat die gleiche Wahrscheinlichkeit – 1 / 3 [sic!]. Sie können durch Induktion beweisen, dass nach dem N-ten Versuch alle Zahlen von 0 bis N von herausgezogen weißen Kugeln gleichwahrscheinlich sind (Sie können auch den Beweis in Kapitel 7 Ref. [1] finden). Interessanterweise erinnert diese gleichmäßige Verteilung sogar an die mathematisch unmöglich Verteilung auf dem Plakat.
[…]
Betrachten wir das folgende Modell. In einer kleinen Stadt, die nur einen Wahlbezirk hat, gibt es anfangs zwei Parteimitglieder. Eines steht für die Weiß-Kugel-Partei und das andere für die Schwarz-Kugel-Partei. Jeder von ihnen beginnt Agitation für seine Partei. Wenn der Agitator jemanden für seine Partei überzeugt, beginnt dieser anschließend, selbst zu agitieren. Nehmen wir an, dass der Agitator der Weiß-Kugel-Partei Glück den ersten bekommt. Jetzt gibt es zwei Leute, die für die Weiß-Kugel-Partei agitieren und nur einen für die Schwarz-Kugel-Partei. Wenn wir annehmen, dass jeder Agitator gleich erfolgreich ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß das neue Mitglied der Weiß-Kugel-Partei beitritt zweimal so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass er der Schwarz-Kugel-Partei beitritt. Wir haben eine 1-1 Korrespondenz mit dem Markov-Modell. Dies bedeutet, dass die Verteilung der Wahlprozente unter den Wahlbezirken nicht Gaußsch, sondern gleichmäßig ist.
Wie gesagt, manchmal können kurze Argumente durchaus lange Analysen aushebeln. Das ist bei diesem Artikel sicher nicht der Fall, dafür läßt sich die Argumentation dieses Artikels aber tatsächlich mit drei sehr kurzen Argumenten erwidern:
1. geht es den sich auf die Normalverteilung berufenden Demonstranten keineswegs nur um die Verteilung der Prozente der einzelnen Parteien, sondern es geht vor allem auch um die Wahlbeteiligung der einzelnen Wahlbezirke,
2. gibt es genug empirisches Material aus Wahlen anderer Länder, um die These der Gleichverteilung zu widerlegen,
3. sind die Ergebnisse der Wahlen in Rußland von einer Gleichverteilung noch viel weiter entfernt als von einer Gaußschen Glockenkurve.
NB: Falls jemand die Analyse von Dimitri Kobak oder andere vergleichbare Analysen ins Deutsche übersetzen will, bin ich (Zustimmung des Autors vorausgesetzt) gerne bereit, das hier auf den scienceblogs einzustellen.
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