Windstille Punkte auf gekämmten Kokosnüssen.

Letzte Woche hatten wir das Buch “Euler’s Gem” von David Richeson rezensiert. In diesem Buch ging es um die Eulersche Polyederformel und ihre Verallgemeinerungen, unter anderem im Kapitel 19 “Combing the Hair on a Coconut” um den Zusammenhang zwischen Euler-Charakteristik und Nullstellen von Vektorfeldern, insbesondere die Unmöglichkeit auf einer Kokosnuß (d.h. einer Sphäre) ein Vektorfeld ohne Nullstellen zu finden. (‘Vektorfeld’ heißt per Definition: der Vektor ist in jedem Punkt tangential an die Sphäre.)

Statt mit Kokosnüssen wird die Frage, ob es auf der Sphäre ein Vektorfeld ohne Nullstellen gibt, traditionell meist mit Igeln visualisiert:

i-166725b4645016f887e9f1be9cb9d6b5-igel2.jpg

Quelle

(Die Stacheln des Igels sind kein Vektorfeld, denn sie stehen ab und sind nicht tangential an die Oberfläche des Igels. Kann man den Igel kämmen, so daß danach alle Stacheln tangential sind? Nein, denn dann hätte man ein Vektorfeld ohne Nullstellen auf der Igeloberfläche, die ja topologisch eine Sphäre ist.)

In der Wikipedia zum Beispiel steht dieser Satz als Satz vom Igel:

Der Satz vom Igel (auch als Satz vom gekämmten Igel bekannt, im Englischen hairy ball theorem) oder Problem des globalen Windes ist ein Resultat aus dem mathematischen Teilgebiet der Differentialtopologie. Diese Aussage wird auch Satz von Poincaré-Brouwer genannt, da Luitzen Egbertus Jan Brouwer diesen 1912 mit Hilfe des Satzes von Poincaré bewiesen hat.

Auf einer Sphäre Sn gibt es genau dann ein tangentiales, stetiges, nirgends verschwindendes Vektorfeld, wenn n ungerade ist.

Insbesondere gibt es ein solches Vektorfeld nicht auf der 2-Sphäre (der Oberfläche der dreidimensionalen Kugel), woraus der folgende Merkspruch folgt:

Jeder stetig gekämmte Igel hat mindestens eine kahle Stelle.

Eine solche kahle Stelle wird auch als „Glatzpunkt” bezeichnet.

Aus dem gleichen Grund kann prinzipiell nicht überall auf der Erde zugleich Wind wehen – es muss auf der Oberfläche eines dreidimensionalen kugelförmigen Planeten immer windstille Stellen geben (daher auch die Bezeichnung: Problem des globalen Windes). Eine ebene Fläche kann dagegen problemlos stetig ohne kahle Stellen gekämmt werden; ebenso ein Torus.

Der Satz vom Igel ist eine Illustration des Satzes von Poincaré-Hopf.

“Problem des globalen Windes” hatte ich als Bezeichnung für diesen Satz bisher noch nicht gehört, erklärt sich aber daraus, daß es wegen dem Igelsatz jederzeit irgendwo windstille Punkte gibt. Im Bild unten sind das Nord- und Südpol.

i-509d705f9d62b2e678b362e4a05d3c1d-Hairy_ball.png

Quelle

So ganz korrekt ist diese Interpretation mit der Windstille aber nicht, denn der Wind ist eigentlich kein Vektorfeld. Vektorfelder müssen, per Definition, immer tangential an die Fläche sein. Die Windrichtung ist aber nicht immer tangential zur Erdoberfläche, der Wind kann auch nach oben oder unten wehen.
Immerhin kann man mit dem Brouwerschen Fixpunktsatz beweisen, daß “es irgendwo in der Welt eine Stelle gibt, an dem der Wind nach oben weht. Diese kann beispielsweise im Inneren eines Tornados liegen. Die Tangentialkomponenente des Windes ist dort null, d.h. der Satz vom Igel gilt, aber ich möchte nicht an dieser Stelle stehen.” (Quelle)

Ganz allgemein sagt der Satz von Hopf-Poincaré, daß die Summe der Indizes der Nullstellen eines Vektorfeldes gleich der Euler-Charakteristik der zugrundeliegenden Mannigfaltigkeit ist. Was genau der Index einer Nullstelle ist (und warum der Satz von Hopf-Poincaré richtig ist) werden wir nächste Woche beschreiben. Auf jeden Fall, auch ohne die Definition des Index zu kennen, folgt aus dem Satz von Hopf-Poincaré offensichtlich: Wenn es auf einer Manngfaltigkeit ein Vektorfeld ohne Nullstellen gibt, dann ist die Euler-Charakteristik gleich Null.

Weil die Euler-Charakteristik der 2-dimensionalen Sphäre gleich 2 ist (TvF 4), kann es also auf der 2-dimensionalen Sphäre kein Vektorfeld ohne Nullstellen geben. Der Igel (oder die Kokosnuss) läßt sich nicht kämmen und es muß auf dem Globus immer mindestens einen windstillen Punkt (oder zumindest einen Tornado) geben.

Der Igelsatz ist ein reiner Existenzsatz: er sagt, daß es jederzeit einen windstillen Punkt gibt, aber nicht, wie man diesen bestimmt. Den windstillen Punkt tatsächlich zu finden scheint auch für erfahrene Metereologen nicht so einfach zu sein, wie man dieser Antwort auf eine Frage bei ‘Ask a scientist!’ entnehmen kann:

Dear Alexander-

It might depend on how you define windless. And I am not sure records are kept for this purpose. If you define most windless as the location with the most hours of calm winds, that would be different from a location with the lowest annual average wind speed.

Some likely candidates for most windless would be land locations near the equator, where the surface pressure gradient is very weak, and large forests and vegetation would inhibit air movement. Other candidate locations would be in the center of large high pressure areas over oceans in the tropics, where winds are light and variable for days and weeks at a time.

Wendell Bechtold, meteorologist
Forecaster, National Weather Service
Weather Forecast Office, St. Louis, MO


Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 , Teil 8, Teil 9 , Teil 10 ,Teil 11, Teil 12, Teil 13, Teil 14, Teil 15, Teil 16, Teil 17, Teil 18, Teil 19, Teil 20, Teil 21, Teil 22, Teil 23, Teil 24, Teil 25, Teil 26, Teil 27, Teil 28, Teil 29, Teil 30, Teil 31, Teil 32, Teil 33, Teil 34, Teil 35, Teil 36, Teil 37, Teil 38, Teil 39, Teil 40, Teil 41, Teil 42, Teil 43, Teil 44, Teil 45, Teil 46, Teil 47, Teil 48, Teil 49, Teil 50, Teil 51, Teil 52, Teil 53, Teil 54, Teil 55, Teil 56, Teil 57, Teil 58, Teil 59, Teil 60, Teil 61, Teil 62, Teil 63, Teil 64, Teil 65, Teil 66, Teil 67, Teil 68, Teil 69, Teil 70, Teil 71, Teil 72, Teil 73, Teil 74, Teil 75, Teil 76, Teil 77, Teil 78, Teil 79, Teil 80, Teil 81, Teil 82, Teil 83, Teil 84, Teil 85, Teil 86, Teil 87, Teil 88, Teil 89, Teil 90, Teil 91, Teil 92, Teil 93, Teil 94, Teil 95, Teil 96, Teil 97, Teil 98, Teil 99, Teil 100, Teil 101, Teil 102, Teil 103, Teil 104, Teil 105, Teil 106, Teil 107, Teil 108, Teil 109, Teil 110, Teil 111, Teil 112, Teil 113, Teil 114, Teil 115, Teil 116, Teil 117, Teil 118, Teil 119, Teil 120, Teil 121, Teil 122, Teil 123, Teil 124, Teil 125, Teil 126, Teil 127, Teil 128, Teil 129, Teil 130, Teil 131, Teil 132, Teil 133, Teil 134, Teil 135, Teil 136, Teil 137, Teil 138, Teil 139, Teil 140, Teil 141, Teil 142, Teil 143, Teil 144, Teil 145, Teil 146, Teil 147, Teil 148, Teil 149, Teil 150, Teil 151, Teil 152, Teil 153, Teil 154, Teil 155, Teil 156, Teil 157, Teil 158, Teil 159, Teil 160, Teil 161, Teil 162, Teil 163, Teil 164, Teil 165, Teil 166, Teil 167, Teil 168, Teil 169, Teil 170, Teil 171, Teil 172, Teil 173, Teil 174, Teil 175, Teil 176, Teil 177, Teil 178, Teil 179, Teil 180, Teil 181, Teil 182, Teil 183, Teil 184, Teil 185, Teil 186, Teil 187, Teil 188, Teil 189, Teil 190, Teil 191, Teil 192, Teil 193, Teil 194, Teil 195, Teil 196, Teil 197, Teil 198, Teil 199, Teil 200