Ebenfalls bei der Milnor-Abel-Konferenz hat Fabien Morel einen Beweis der Friedlander-Milnor-Vermutung angekündigt.
Das Video von Morels Vortrag kann man ansehen auf https://www.ima.umn.edu/videos/?id=1794. (Kann hier sowohl aus technischen als aus urheberrechlichen Gründen nicht direkt eingebettet werden.)
Worum geht es? In der algebraischen Topologie hat man topologische Invarianten, mit denen sich topologische Räume unterscheiden lassen. Die vielleicht grundlegendste solche Invariante sind die Homologiegruppen H*(X;A) eines Raumes X, die sich zudem in der Regel auch noch recht leicht berechnen lassen. (A ist eine zu wählende abelsche Gruppe, die “Koeffizienten” der Homologiegruppe, zum Beispiel Z oder Z/pZ.)
Eilenberg-MacLane hatten in den 40er Jahren festgestellt, dass die Homologiegruppen eines asphärischen Raumes nur von seiner Fundamentalgruppe abhängen. Dies führte dann zur Definition der Homologie H*(G;A) einer Gruppe G als Homologie eines asphärischen Raumes mit Fundamentalgruppe G. Diese Gruppenhomologie lässt sich rein algebraisch definieren, aber kaum berechnen. Wenn man sie berechnen will, muss man praktisch immer erst einen handhabbaren asphärischen Raum mit der entsprechenden Fundamentalgruppe kennen.
Nun gibt es verschiedene mathematische Probleme, z.B. im Zusammenhang mit Scherenkongruenzen oder mit algebraischer K-Theorie, bei denen die Gruppenhomologie von Lie-Gruppen eine Rolle spielt. (Um das Beispiel Scherenkongruenzen hier etwas ausführlicher darzustellen: Hilbert hatte 1900 in seiner bekannten Liste von 23 Problemen gefragt, ob zwei Polyeder genau dann scherenkongruent sind, wenn sie das selbe Volumen haben. Die entsprechende 2-dimensionale Aussage ist eine elementar-geometrische Übungsaufgabe. Ich nehme an, dass sich Hilbert wegen der damals noch nicht vorhandenen axiomatischen Definitionen von Messbarkeit etc. für die Frage interessierte. Dehn zeigte dann aber noch im selben Jahr, dass bei scherenkongruenten Polyedern eine weitere Invariante, die Dehn-Invariante, übereinstimmen muss. Dass Volumen und Dehn-Invariante gemeinsam genügen um Scherenkongruenz zu entscheiden wurde erst 1965 von Sydler bewiesen. Und bemerkenswerterwesie ist Sydlers Theorem äquivalent zu der Aussage, dass H2(SO(3),Z)=0, also zur Berechnung der Gruppenhomologie einer Lie-Gruppe.)
Man kann die Gruppenhomologie definieren als Homologie eines bestimmten Raumes BGδ, dieser Raum ist aber zu kompliziert für konkrete Berechnungen. Andererseits hat man für Lie-Gruppen den klassfizierenden Raum BG, dessen Homologie man durchaus berechnen kann. (Z.B. für die unitäre Gruppe U(n) ist BU(n) die Grassmann-Mannigfaltigkeit, deren Homologiegruppen etwa im Lehrbuch von Milnor-Stasheff berechnet werden, Stichwort Schubert-Kalkül.) Der Raum BGδ kann in diesem Kontext interpretiert werden als der klassifizierende Raum der Gruppe G mit der diskreten Topologie (statt der Lie-Gruppen-Topologie), daher auch das Schlagwort “homology of Lie groups made discrete” für die Gruppenhomologie von Lie-Gruppen.
Nun ist die Identitäts-Abbildung Gδ–>G (von der Gruppe mit diskreter Topologie in die Gruppe mit Lie-Gruppen-Topologie) natürlich stetig und man bekommt eine Abbildung H*(G,Z)–>H*(BG,Z) von der schwer zu berechnenden Gruppenhomologie in die berechenbare Homologie von BG. Die Abbildung ist aber in der Regel weit entfernt davon, ein Isomorphismus zu sein. Jedenfalls die torsionsfreien Anteile der Homologiegruppen haben nichts miteinander zu tun: während die rechte Seite stets endlichdimensional ist, dürfte das bei der linken Seite kaum der Fall sein. (Jedenfalls vermutet man, dass z.B. die Gruppenhomoloige von SL(2,C) abzählbar-dimensional ist.)
Insofern ist es ziemlich überraschend, dass die Torsionsanteile der beiden Homologiegruppen wohl doch übereinstimmen. Jedenfalls hatte John Milnor in seiner 1983 veröffentlichten Arbeit “On the homology of Lie groups made discrete” vermutet, dass H*(G,Z/pZ)–>H*(BG,Z/pZ) (also die obige Abbildung mit endlichen Koeffizienten statt Z-Koeffizienten) ein Isomorphismus ist, und er hatte das dann für den speziellen Fall auflösbarer Lie-Gruppen auch bewiesen. Kurz danach hatte André Suslin diese Vermutung auch für die unendliche lineare Gruppe über C bewiesen und Friedlander hatte gezeigt, dass für komplex algebraische Gruppen Milnors Vermutung mit einer anderen Vermutung über etale Kohomologie (“Friedlander-Vermutung”) zusammenhängt. Danach gab es aber in fast 30 Jahren keine nennenswerten Fortschritte.
Die im Vorttrag von Morel angekündigte Arbeit liefert nun einen Beweis der Friedlander-Vermutung und damit auch einen Beweis der Milnor-Vermutung für komplex algebraische Gruppen. Damit kann man nun immerhin die Torsionsanteile der Gruppenhomologie für diese Gruppen berechnen.
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