oder doch nur beliebig große?

Der Matheplanet berichtet über die Werbung eines bekannten deutschen Baumarktes:

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“Gesamtbreite unendlich möglich”
Ja, der Unterschied zwischen ‘beliebig groß’ und ‘unendlich groß’ – ich glaube, wer den verstanden hat, der hat die richtigen Voraussetzungen für ein Mathematikstudium.

Zum Beispiel liefern Beweise durch vollständige Induktion (jedenfalls solange es sich nicht um transfinite Induktion handelt) immer nur einen Beweis für beliebig große Zahlen oder Mengen, nicht aber für unendlich große.

Ein recht erhellendes Beispiel einer Aufgabe dazu, die ich als Schüler mal bei einem Olympiadetraining lösen mußte:

Gibt es Funktionen (in unendlich vielen Variablen), die nicht monoton wachsend, aber in jeder einzelnen Variablen monoton wachsend sind?

(Eine Funktion f(x1,x2,…) heißt monoton wachsend in der Variablen xi, wenn aus xi≤y stets f(x1,x2,…,xi,…)≤f( x1,x2,…,y,…) folgt, d.h. alle anderen Variablen werden festgelassen. Die Funktion heißt monoton wachsend, wenn aus der für alle i geltenden Ungleichung xi≤yi stets f(x1,x2,…) ≤f(y1,y2,…)folgt.)

Das witzige an der Aufgabe ist, daß aus Monotonie in einer Variablen leicht Monotonie in beliebig vielen Variablen folgt. Trotzdem muß die Funktion nicht monoton in unendlich vielen Variablen sein.
Ein Gegenbeispiel ist die Funktion f, die durch f(x1,x2,…)=1 für konvergierende Folgen x1,x2,… und f(x1,x2,…)=0 für divergierende Folgen x1,x2,… definiert ist. Die Funktion ist offensichtlich nicht monoton wachsend. Sie ist aber monoton wachsend (sogar konstant) bzgl. jeder einzelnen Variable, weil die Änderung eines einzelnen Folgengliedes nichts am Konvergenzverhalten ändert. (Und entsprechend auch monoton in beliebig vielen Variablen.)

Oder ein Beispiel aus der aktuelleren Forschung. Aus dem Primzahlsatz folgt leicht, daß es keine unendlich langen arithmetischen Folgen von Primzahlen geben kann. Andererseits haben Green und Tao 2004 bewiesen, daß es beliebig lange arithmetische Folgen von Primzahlen gibt. (Für Vorarbeiten zu diesem Theorem erhielt Endre Szemeredi dieses Jahr den Abelpreis.) Zahlreiche Beispiele für das Wechselspiel von ‘endlicher’ und ‘unendlicher’ Matheamtik gibt auch dieser Blogpost von Terence Tao.

Die Türen im Baumarkt sind also jedenfalls nur beliebig groß, nicht unendlich

Auf Koreanisch heißt ‘große Tür’ übrigens ‘daemun’. Das Bild unten zeigt ‘Dongdaemun’, die ‘östliche große Tür’ in Seoul. (Die Tür gibt auch dem angrenzenden Stadtbezirk Dongdaemun-gu seinen Namen, in dem sich übrigens mein Institut befindet.)

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Wikipedia

Kommentare (12)

  1. #1 m
    7. Juni 2012

    Man kann die Tragschiene ja auch im Kreis verlegen

  2. #2 Julian
    7. Juni 2012

    Man bekommt wahrscheinlich schon eine unendlich breite Schiebetür. Zumindest wenn man davor unendlich viel Geld hinträgt. 😉

  3. #3 rolak
    7. Juni 2012

    Hehe, so kann selbst das kleinste Kabuff zu einem begehbaren Stadtteil aufgepeppt werden 😉

  4. #4 jk
    7. Juni 2012

    Nicht doch, ganz falsche Interpretation. “Gesamtbreite unendlich möglich” heißt doch ganz offensichtlich, dass es unendlich möglich ist, dass die Tür eine Gesamtbreite hat, was ja eher ein wahrscheinlichkeitstheoretisches Problem ist. 😉

  5. #5 ulfi
    7. Juni 2012

    Du bist in Seoul? hätte ich das mal gewusst, wäre ich bei dir vorbei geschaut 😉

    Das Tor sieht von Nahem noch viel viel imposanter aus. Das kann ein Bild gar nicht vermittelt. Aber auch ganz Seoul ist so schön!

    Ich konnte bislang nur relativ kurz in mathe reinschnuppern, aber das Unendlichkeiten sich wirklich anders verhalten wird einem in der Analysis schnell bewusst. Das macht Mathematik ziemlich unintuitiv. Und mir persönlich lässt das die Algebra als wesentlich angenehmer erscheinen :).

  6. #6 Thilo
    8. Juni 2012

    Stimmt, das Bild ist wirklich nicht so toll. Hier findet man ein paar schoenere: https://english.visitkorea.or.kr/enu/SI/Photo.jsp?cid=264315

  7. #7 Frank Wappler
    8. Juni 2012

    퀘 스 너 틸 로 schrieb (07.06.12 · 15:52 Uhr):
    > […] die Funktion f, die durch f(x1,x2,…)=1 für konvergierende Folgen x1,x2,… und f(x1,x2,…)=0 für divergierende Folgen x1,x2,… definiert ist. Die Funktion ist offensichtlich nicht monoton wachsend. Sie ist aber monoton wachsend (sogar konstant) bzgl. jeder einzelnen Variable

    Gibt es Funktionen (in unendlich vielen Variablen), die nicht monoton wachsend, aber in jeder einzelnen Variablen streng monoton wachsend sind?

  8. #8 Thilo
    8. Juni 2012

    @ Frank Wappler:
    ich wüßte jedenfalls keinen Grund, warum es sie nicht geben sollte. Vielleicht macht sich jemand die Mühe und findet ein Beispiel?

  9. #9 sebi
    8. Juni 2012

    Ich haette folgenden Vorschlag, allerdings bin ich mir nicht ganz sicher ob der wohldefiniert ist:
    Wie waers mit der Funktion, die allen konvergierenden Reihen ihren Grenzwert zuordnet, und den divergierenden einen “regularisierten” Grenzwert. Damit ist gemeint, dass jedes Element e_i der divergierenden Reihe mit einer Zahl f(i) ungleich 0 multipliziert wird, wobei dieses f(i) so gewaehlt wird, dass die neue Reihe e_i*f(i) konvergiert. Ich muss allerdings zugeben, dass ich das Gefuehl habe, dass die Wahl dieser Funktion Probleme bereiten wird, wenn es den Ansatz nicht sogar unmoeglich macht. Auf jeden Fall darf die Wahl nicht von einzelnen Elementen der Reihe abhaengen,, sonst ist die Monotonie in Gefahr. Vielleicht hat ja einer der Mathematiker eine Idee oder ein besseres Beispiel.

  10. #10 Thilo
    8. Juni 2012

    Klingt vernünftig, nur gibt es keine Regularisierung, mit der dann ALLE Folgen konvergieren. Zum Beispiel die Folge e_i=i/f(i) ist mit der gewählten Regularisierung f(i) dann natürlich divergent.

  11. #11 sebi
    8. Juni 2012

    Genau, die Regularisierung muesste von der Reihe abhaegen, aber nicht von einzelnen Elementen, sondern eventuell von bestimmten Konvergenzeigenschaften. Keine Ahnung, ob das wirklich geht.

  12. #12 Frank Wappler
    7. August 2012

    Thilo schrieb (07.08.12 · 10:59 Uhr, 11:05 Uhr):
    > Isometrie im Sinne der Riemannschen Geometrie heisst insbesondere auch abstaende-erhaltend.
    > […] der Abstand zweier Punkte x,y ist das Infimum über alle Kurvenlängen von Kurven AUF DER FLäCHE, die x und y verbinden.

    Das beantwortet meinen oben (07.08.12 · 10:06 Uhr) formulierten Einwand; vielen Dank!

    Allerdings —
    würde man denn sonst überhaupt jeweils von “Einbettung einer bestimmten Fläche” sprechen? Gibt es denn überhaupt “nicht-isometrische Einbettung einer bestimmten Fläche”?

    Vermutlich nicht;
    und in so fern wäre die Formulierung des Einbettungssatzes im Artikel (03.08.12 · 16:35 Uhr), “dass man jede Fläche isometrisch und […] einbetten kann
    entgegen der Erwartung, dass Bedingungen nicht redundant bzw. stärker ausgedrückt werden, als notwendig. (Das erinnert an die unerwartete Formulierung bzw. Argumentation aus https://www.scienceblogs.de/mathlog/2012/06/unendllich-breite-turen.php — “monoton wachsend (sogar konstant)“.)

    Die Intuition, die eigentlich redundante Forderung nach “(intrinsischer Minimal-Kurvenlängen-) Isometrie” stattdessen als unabhängige Forderung nach
    (extrinsischer) Isometrie (bzgl. verschiedener Einbettungsräume)” misszuverstehen, lässt den Einbettungssatz dann wohl (besonders) kontra-intuitiv erscheinen.