Lorenz Ergebnis war also eigentlich ein Positives: in gewisser Weise konnte er das Chaos berechnen, nämlich indem er den Attraktor fand, gegen den jede Lösung seiner chaotischen Differentialgleichung konvergiert. (Eine elementare mathematische Beschreibung der Dynamik auf dem Lorenz-Attraktor fanden später Guckenheimer-Williams und Tucker.)
Unabhängig von Lorenz war in den 60er Jahren (vor allem durch Steven Smale) eine mathematische Theorie dynamischer Systeme entwickelt worden. Smale kannte offenbar weder Lorenz Arbeit noch die Arbeiten von Poincaré, Hadamard, Birkhoff und er versuchte zunächst Anfang der 60er Jahre zu beweisen, daß das Chaos nicht existiert. 1961 fand er als Gegenbeispiel dann aber seine berühmte Hufeisenabbildung, die (analog zu Hadamards Beispiel) zeigt, daß sich jede beliebige Entwicklung (d.h. jede Folge von A’s und B’s, wobei A und B die beiden Teile des Hufeisens bezeichnet, in denen die einzelnen Punkte des Orbits liegen können) durch verschiedene, nahe beeinander liegende Startwerte realisieren läßt.
(Den Unterschied zwischen Mathematik und Naturwissenschaften bringt Ghys auf den Punkt: Anders als Lorenz, der das Chaos in der Natur entdeckte, hat Smale eine neue Welt erschaffen und er bewies dann auch noch, daß diese strukturell stabil ist, d.h. eine leicht gestörte Hufeisenabbildung hat immer noch dieselben Eigenschaften.)
Nachdem Smale eingesehen hatte, daß es Chaos gibt, vermutete er dann übrigens 1965, daß generisches Chaos hyperbolische Dynamik habe. (Das ist eine mathematisch gut beschreibbare Form chaotischen Verhaltens.) Auch das war falsch und das Gegenbeispiel, der Lorenz-Attraktor ja eigentlich schon seit 1963 bekannt, wenn auch nur den Meteorologen.
Ist das Chaos also doch nicht genauer beschreibbar? Vielleicht doch, wenn man sich auf Laplace besinnt und die Wahrscheinlichkeitstheorie benutzt. Eine Vermutung von Palis besagt, daß sich chaotische Dynamik in den meisten Fällen durch “SRB-Maße” (nach Sinai-Ruelle-Bowen) beschreiben läßt, man also zwar nicht ohne genaue Kenntnis der Anfangsbedingungen den weiteren Orbit eines Punktes berechnen kann, dafür aber zumindest eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, wie oft er sich langfristig in den einzelnen Bereichen des Attraktors aufhalten wird. Auch wenn diese Vermutung in ihrer Allgemeinheit noch nicht bewiesen ist, zeigt sie doch, daß auch das Chaos einer mathematischen Beschreibung zugänglich gemacht werden kann.
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