Die Euler-Charakteristik war hier schon häufiger Thema, beim Igelsatz (TvF 201) wie auch bei Zerlegungen von Flächen (TvF 3) oder dem Gauß-Bonnet-Theorem (TvF 71).
Der Igelsatz zeigt den Zusammenhang zwischen Euler-Charakteristik und Nullstellen von Vektorfeldern. Letztere haben offenkundig damit zu tun, wie getwistet das Tangentialbündel der Fläche ist. Die Twists im Tangentialbündel wiederum mißt man mit charakteristischen Klassen und es stellt sich heraus, dass man auch die Euler-Charakteristik aus einer solchen bekommen kann.
Um zu verstehen, wie man die Euler-Charakteristik aus einer charakteristische Klasse bekommen kann, bietet es sich an, auch wenn das im Rahmen dieser Reihe vielleicht eigentlich ein bißchen weit führt, einmal allgemein zu erklären, wie charakteristische Klassen konstruiert werden. Das wird jetzt also etwas allgemeiner und mit weniger Bildern versehen als sonst meistens.
In TvF 255 hatten wir das universelle Geradenbündel definiert, ein Geradenbündel über dem projektiven Raum (der Menge aller 1-dimensionalen Unterräme im
).
Analog kann man sich die Menge aller n-dimensionalen Unterräme im ansehen, die sogenannte Graßmann-Mannigfaltigkeit
. Über dieser kann man – analog zum 1-dimensionalen Fall – ein universelles n-dimensionales Vektorbündel konstruieren und jedes andere n-dimensionale Vektorbündel über einem Raum X bekommt man durch Zurückziehen des universellen Bündels mittels einer Abbildung
.
Diese Graßmann-Mannigfaltigkeit ist nicht nur der klassifizierende Raum für n-dimensionale Vektorbündel, sondern auch für Prinzipalbündel mit Strukturgruppe O(n), der orthogonalen Gruppe. (Wenn man ein Vektorbündel und ein faserweises Skalarprodukt hat, dann kann die Menge aller Orthonormal-Basen der Fasern betrachten: das ist ein Prinzipalbündel mit Strukturgruppe O(n). Insbesondere kann man das auf das universelle Vektorbündel anwenden und bekommt so das universelle O(n)-Prinzipalbündel.) Man bezeichnet deshalb auch als
. (Allgemein bezeichnet man
das universelle Prinzipalbündel mit Strukturgruppe G.)
Charakteristische Klassen (TvF 257) eines n-dimensionalen Vektorbündels über einem Raum X bekommt man, indem man eine Kohomologieklasse nimmt und dann die Klasse h mittels der klassifizierenden Abbildung
des Vektorbündels zurückzieht. Die so erhaltene Kohomologieklasse
mißt sozusagen, wie getwistet das Vektorbündel ist.
Charakteristische Klassen konstruiert man also aus Elementen der Kohomologie des klassifizierenden Raumes. Diese wiederum ist aber von Borel berechnet worden, sie entspricht gerade den invarianten Polynomen auf o(n):
.
Die 2-dimensionalen Vektorbündel werden also klassifiziert durch das universelle Bündel über und ihre charakteristischen Klassen bekommt man durch invariante Polynome auf o(2).
Was sind invariante Polynome? Als ein Polynom vom Grad k auf einem Vektorraum V bezeichnet man eine symmetrische, multilineare Abbildung in k Variablen . “Symmetrisch” soll heissen, dass die Abbildung unter der Wirkung der Permutationsgruppe
invariant ist. (Solche symmetrischen Funktionen sind bereits eindeutig bestimmt durch ihre Werte auf Argumenten der Form
. Klassische Polynome vom Grad k sind der Fall
mit Argumenten (x,…x).)
Hier geht es um den Vektorraum o(2) der schiefsymmetrischen Matrizen (die Lie-Algebra zu O(2)). Die Gruppe O(2) wirkt auf o(2) durch Konjugation von Matrizen (die sogenannte adjungierte Wirkung) und “invariante Polynome” sind per Definition Polynome auf dem Vektorraum o(2), die invariant unter Konjugation sind. Zum Beispiel die Spur (die auf o(2) allerdings immer 0 ist) oder die Determinante.
Die invarianten Polynome auf Lie-Gruppen sind schon von Cartan berechnet worden. Das (bis auf skalare Vielfache) einzige invariante Polynom auf o(2) ist die Determinante. Wenn man sich auf SO(2) einschränkt (also Polynome auf so(2)=o(2) betrachtet, die nur unter Konjugation mit Matrizen aus SO(2) invariant sind), dann gibt es noch ein weiteres invariantes Polynom, nämlich die Pfaffsche Determinante. (Letztere ordnet der schiefsymmetrischen Matrix den Wert
zu.)
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