Bild oben zeigt ein Vektorfeld auf einer in Dreiecke zerlegten Fläche, mit Nullstellen in jeder Ecke, jedem Kantenmittelpunkt und jedem Dreiecksschwerpunkt. (Damit hatten wir mal den Satz von Hopf-Poincaré veranschaulicht, nach dem man die Euler-Charakteristik E-K+F auch als Summe der Indizes der Nullstellen eines Vektorfeldes bekommen kann.)
Vor 4 Wochen hatten wir (mit Hilfe eines festgewählten Vektorfeldes) die Euler-Klasse (des Tangentialbündels) als einen Kozykel definiert, der jedem Simplex jeweils die Summe der Indizes der im Bild des Simplex liegenden Nullstellen zuordnet. (Daß das wirklich die Euler-Klasse definierte, ergab sich eben aus dem Satz von Hopf-Poincaré, TvF 204).
Man fragt sich dann natürlich, ob man auf ähnliche Weise auch die Euler-Klasse eines beliebigen Vektorbündels bestimmen kann. Das ist das Thema der sogenannten Obstruktionstheorie. (Der Name bezieht sich grob gesagt darauf, daß charakteristische Klassen – als Abbildungen, die jedem Simplex eine Zahl zuordnen – gerade das Hindernis zur Fortsetzung eines auf dem Rand gegebenen Schnittes auf diesen Simplex messen sollen.)
Simpliziale Formel für die Euler-Klasse
Also, wir haben eine Triangulierung unserer Fläche gegeben:
Solche Triangulierungen gab es immer, zum Beispiel ließ sich die Brezel aus einem 8-Eck gewinnen und die Fläche mit g Henkeln aus einem 4g-Eck (TvF 5, TvF 69)
das man dann in 6 Dreiecke (bzw. im Fall des 4g-Ecks in 4g-2 Dreiecke) zerlegen kann:
Streng genommen ist das keine Triangulierung, weil alle Dreiecke dieselbe Ecke haben. Für unsere Zwecke spielt das aber keine Rolle, obige Zerlegung in Dreiecke ist völlig ausreichend. Und wenn man aus irgendeinem Grund unbedingt eine Triangulierung bräuchte, könnte man sie aus obiger Zerlegung durch baryzentrische Unterteilung bekommen:
Wir haben jetzt also unsere Fläche in Dreiecke zerlegt. Über jedem Dreieck haben wir unser 2-dimensionales Vektorbündel. Über jeder Ecke können wir natürlich irgendeinen von Null verschiedenen Vektor auswählen.
Weil zusammenhängend ist, können wir diesen Schnitt ohne Nullstellen auf jede Kante fortsetzen.
Auf die Dreiecke läßt sich dieser Schnitt ohne Nullstellen aber nicht immer fortsetzen – weil ist.
Man kann dann für einen “generischen” Schnitt (soll heißen: einen, bei dem alle Nullstellen isoliert sind) die Anzahl der Nullstellen (mit Vorzeichen) pro Simplex zählen und bekommt somit eine Abbildung, die jedem Simplex eine ganze Zahl zuordnet. Man kann zeigen, daß diese Zuordnung ein Kozykel ist und die Euler-Klasse repräsentiert. (In Analogie zum Satz von Hopf-Poincaré, der ja dasselbe für das Tangentialbündel besagte: dort waren die Schnitte gerade Vektorfelder und die Euler-Klasse des Tangentialbündels berechnete man als Summe der Indizes eines Vektorfeldes.) Damit bekommt man also eine simpliziale Formel für die Euler-Klasse.
Ungleichungen
Es war eine bemerkenswerte Beobachtung von Sullivan, daß man für flache Bündel den Schnitt über jedem Dreieck als affine Abbildung realisieren kann und er deshalb dann über jedem Dreieck nur eine Nullstelle hat. Man kann die Euler-Klasse also durch einen simplizialen Kozykel realisieren, der nur Werte 1, 0 und -1 annimmt. Das wurde in einer unveröffentlichten Arbeit von Smillie noch dahingehend verbessert, daß man sogar einen Kozykel findet, der (wieder für flache Bündel) nur Werte 1/4, 0 und -1/4 (bzw. im Fall n-dimensionaler Vektorbündel 0 und ) annimmt. (In einer neueren Arbeit von Bucher und Monod wurde auch noch eine explizite Formel für die Euler-Klasse in der Gruppenkohomologie der diskreten Gruppe GL+(2,R) (siehe letzte Woche) angegeben, die für flache Bündel gerade Smillies Kozykel realisiert.)
Smillies Repräsentierung der Euler-Klasse liefert dann Einschränkungen für die möglichen Werte der Euler-Klasse flacher Bündel. Denn eine Fläche vom Geschlecht g läßt sich in 4g-2 Dreiecke zerlegen und wenn die Euler-Klasse auf jedem Dreieck höchstens den Wert 1/4 annimmt, dann muß die Euler-Klasse des flachen Bündels kleiner als g sein. Das liefert also nochmal einen anderen Beweis der Milnor-Wood-Ungleichung aus TvF 265 und beweist zum Beispiel, daß der Torus die einzige geschlossene, orientierbare Fläche mit einer flachen Metrik (einem flachen Tangentialbündel) ist, denn für andere Flächen ist die Euler-Charakteristik des Tangentialbündels ja 2g-2, was für g>1 größer ist als das für flache Bündel maximal mögliche g-1.
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