In der Financial Times findet sich heute ein “opinion piece” von Karl-Theodor zu Guttenberg: Merkel’s conservative critics will be crucial in the German elections, eine Analyse der möglichen Wahlergebnisse und für den deutschen Leser natürlich nichts enthaltend, was man nicht auch überall sonst lesen kann. Bemerkenswert aus Mathematiker-Sicht ist aber folgende These:

The chancellor’s fiercest critics – some even from her own party – contend that her approach to politics can be summarised in three principles. First, keep all options open but do it decisively. Second, hesitate vigorously. Finally, try to keep the subject matters you deal with as complex as possible so that no one notices that you have already made multiple 170 degree shifts (180 degree turns would always land her in the same spot).

Tja, das kommt davon, wenn man schon in der Schule immer abgeschrieben hatte. Dann versteht man nicht einmal mehr, was der Ghostwriter eigentlich sagen wollte und verdreht die Aussage völlig.

Also, was Herr Guttenbergs Ghostwriter mit ziemlicher Sicherheit sagen wollte war wohl: “… that no one notices that you have already made multiple 180 degree turns.”

Wenn man sich zweimal (oder viermal oder sechsmal) um 180 Grad dreht, dann hat man tatsächlich wieder denselben Standpunkt. Ich glaube aber nicht, dass es das war, was der Ghostwriter sagen wollte.

Und das was Herr Guttenberg dann im Artikel draus gemacht hat, gibt so leider überhaupt keinen Sinn, denn eine 180-Grad-Drehung ist nun einmal schlicht eine Kehrtwende. Und eine 170-Grad-Drehung ebenfalls. (Außerdem würde man die im Englischen eher nicht als “Shift” bezeichnen, wenn es nicht gerade um Phasenverschiebung geht.)

(Wobei man als Mathematiker strenggenommen noch sagen könnte, dass man nach einer 180-Grad-Drehung doch noch am selben Platz steht, nur in die andere Richtung schaut. Aber das gilt natürlich auch für die 170-Grad-Drehung und für jeden anderen Drehwinkel.)

Drum der Ratschlag: nächstes Mal gleich unverändert den Text vom Ghostwriter übernehmen und nicht mehr selbst drin rumpfuschen. Vor allem, wenn’s um Mathe geht.

Kommentare (15)

  1. #1 Martin Windischer
    21. September 2013

    Für mich klingt das relativ eindeutig: Wenn man sich 10 mal um 180 Grad dreht, steht man so wie vorher. Wenn man sich aber 10 Mal um 170 Grad dreht, denkt zwar jeder, dass man wieder gleich steht (schließlich kann man 170 Grad kaum von 180 Grad unterscheiden), in Wahrheit ist man aber 100 Grad von der Ausgangslage entfernt.

  2. #2 Thilo
    21. September 2013

    Um das zu veranschaulichen, würde man wohl eher von 350-Grad-Drehungen gegenüber 360-Grad-Drehungen sprechen. Vor allem ist es ja nicht wahr, dass man mit 180-Grad-Drehungen immer in der gleichen Position landet, nur nach einer geraden Anzahl solcher Drehungen.

  3. #3 rolak
    21. September 2013

    klingt .. relativ eindeutig

    Sicher, Martin, und zwar nach sicherem Fehlgriff im schier unerschöpflichen Vorrat unpassender Metaphern. Immerhin läßt, wie von Thilo schon ausgeführt, jedwege Drehung (ohne Verstolpern) den Ausführenden an ein und derselben Stelle, ändert mithin bestenfalls die Orientierung, nie jedoch den Standpunkt. Auch wenn ich Freiherr c/p dahingehend zustimme, daß das unerschrockene in den Wind der öffentlichen Meinung Hängen des eigenen Mäntelchens mit ‘orientierungslos’ gut beschrieben ist – selbst für diesen Fall ist eine konkrete Gradangabe sinnleer.

    das kommt davon, wenn man schon in der Schule immer abgeschrieben hatte

    Vielen Dank nachträglich für diesen herzhaften Lacher zum Start ins WE. Erinnert mich an den Spruch zur Beschreibung der politischen Karriere des anthroposophisch aufgewachsenen Otto Schily: ‘Da sieht man, was passiert, wenn man in der analen Phase nur Holzspielzeug bekommst’.

  4. #4 michael
    23. September 2013

    @rolak
    > ‘Da sieht man, was passiert, wenn man in der analen Phase nur Holzspielzeug bekommst’

    Von wem ist denn der Spruch ?

  5. #5 rolak
    23. September 2013

    Von wem?

    Hagen Rether, michael, hab aber keinen entsprechenden YTclip zur Hand.

  6. #7 klauszwingenberger
    24. September 2013

    Nun ja, wenn man sich 170 mal um 180 Grad dreht, schaut man ja auch in dieselbe Richtung, wie wenn man sich 180 mal um 170 Grad dreht. Aber allen Ernstes, spätestens bei der 13. Drehung bekommt der Baron das Hirnbrummen vom vielen Drehen.

  7. #8 rolak
    26. September 2013

    Zeitlich so schön naheliegend, keine Lust nach einem noch besser passenden thread zu suchen, geht es doch auch hier um das Nicht-Einsickern des in der Schule vorgeblich Gelernten: Soeben verschuldete eine Arte-Doku schon nach einer guten Minute eine Kaffee-Überprustung des Schreibtisches:

    ..Investoren, die an den internationalen Finanzplätzen in Sekundenschnelle mit ihren Logarithmen an dem Computer Handel betreiben..

  8. #9 Adent
    26. September 2013

    @rolak
    SEHR schöne Perle, ja warum sollten die “hochgebildeten” bei Arte schlauer sein als bei RTL ;-).
    Übrigens sprich mal betrunken dreimal schnell hintereinander das Wort Algorithmus aus, viel Spaß 😉

  9. #10 Adent
    26. September 2013

    Ups, Smiley-Inflation, das war einer zuviel. Also greift zu, ein Smiley (der erste) ist zu verschenken!

  10. #11 Thilo
    26. September 2013

    Achso, dass da Algorithmen statt Logarithmen gemeint waren, hab ich erst nch Adents Kommentar begriffen …

  11. #12 Adent
    26. September 2013

    Wenn ich mir die Worte Logarithmus und Algorithmus anschaue stellt sich die Frage, ob es noch andere Permutationen gibt? Also z.B. einen Lago- Aglo- Agol- oder mein Favorit den Olgarithmus?

  12. #13 Liebenswuerdiges Scheusal
    26. September 2013

    Letzuteren schreibt man aber mit y und der kann recht wichtig sein 😉 .

  13. #14 Adent
    26. September 2013

    @LS
    Olga schreibt man mit Y, das wäre mir neu 😉

  14. #15 rolak
    27. September 2013

    die “hochgebildeten”

    Tja Adent, der Typ konnte einem schon leid tun, sah aus wie zum Schnell-Interview überfallen, kam kaum in sein Vorbereitetes rein – da hätte ich als Sender einen zweiten take angesetzt… Bei späteren Teilen wirkt er wesentlich flüssiger.

    andere Permutationen?

    Unter denen fällt mir nichts anderweitig Sinnvolles ein, das nächstbeste ähnlich Klingende wäre ‘Fado-Rhythmus’. Doch Deine Olga ist so schön, die hat gewonnen.