Der Schachsport hat seinen neuen Dopingskandal, einen angekündigten und von allen erwarteten.
Seit fast einem Jahr rätselte die Schachwelt über die plötzlichen Erfolge eines 25-jährigen bulgarischen Pädagogikstudenten, Borislav Ivanov, mit einer Elo von knapp 2200 bis dahin eher eine lokale Größe, der seit Ende 2012 reihenweise Großmeister in internationalen Turnieren vom Brett fegte. Gut, man rätselte eigentlich nicht über den Grund für die Erfolge, der war recht offensichtlich: die Übereinstimmungen seiner Züge mit denen des momentan besten Computerprogramms Houdini waren so markant, dass eine zufällige Koinzidenz einfach jenseits jeglicher Wahrscheinlichkeit lag. Gerätselt wurde nur darüber, wie er es machte. Was wurde nicht alles spekuliert: eine Kamera im Kugelschreiber, die die Züge aufnimmt und an einen Computer weiterleitet, ein in die Haut implantierter Chip, der mittels Morse-Signalen die richtige Antwort sendet. War alles falsch, man weiß seit letzter Woche: es waren die Schuhe, anscheinend ein Computer im Schuh, der sich mittels Zehenbewegungen steuern ließ. (Was es beim Roulette übrigens schon vor 40 Jahren gab und beim Poker immerhin 1991.) Die Geschichte der Aufdeckung kann man hier bei Chessbase nachlesen. So ganz genau weiß man immer noch nicht, wie es funktionierte und man wird es auch nicht mehr erfahren, denn Ivanov hat am Donnerstag seinen Rücktritt vom Schachsport bekanntgegeben.
Der Nachweis des Computerbetrugs mit statistischen Methoden ist ein in den letzten Monaten heißdiskutiertes Thema, vor allem Ken Regan hat hat zu diesem Thema gearbeitet. Nicht wirklich beweiskräftig, aber für den Laien immer viel überzeugender sind Fälle, in denen Spieler Fehler begehen, die vom Computer empfohlen werden, die aber kaum einem Menschen je unterlaufen würden. Im Falle Ivanovs ist das dieses Endspiel, in dem er mit Schwarz aufgab:
Ein Computer zeigt hier ein Plus von ungefähr 2 Bauern an, was natürlich eine völlig korrekte Bewertung ist, denn Weiß steht in jeder Hinsicht klar besser. Ein menschlicher Spieler hätte trotzdem schnell erkannt, dass Weiß seinen klaren Vorteil nicht verwerten können wird und die Partie ohne größere Anstrengungen des Schwarzen unentschieden enden sollte. Natürlich kein Beweis für Computerhilfe, Partieaufgaben in eigentlich nicht gewinnbaren Endspielen sind durchaus nicht selten, aber doch irgendwie ganz lustig. Einen ähnlichen Fall hatte es vor einigen Monaten in Deutschland gegeben, wo ein von seinem überehrgeizigen Vater angestifteter Jugendlicher ebenfalls mit fast 100%-igen Houdini-Zügen reihenweise Großmeister schlug, aber eine Partie verlor durch einen auch für einen Menschen abwegig scheinenden Zug, den das Programm aber bis Suchtiefe 16 für den besten hielt, erst ab Suchtiefe 16 schlug die Bewertung um. Die SCHACH-Zeitung schrieb damals von einem Fall des Horizonteffekts, wie man ihn sonst nur von Computern kennt.
Man ist inzwischen recht weit, wenn es darum geht, komplett mit Computerhilfe gespielte Partien zu erkennen und sozusagen Wahrscheinlichkeiten für zufällige Zugübereinstimmungen über eine ganze Partie zu berechnen. Das eigentliche Problem des e-Dopings im Schach wird das aber kaum lösen. Ein starker Spieler braucht keine Computerhilfe über die gesamte Partie, sondern er erkennt, wann eine kritische Stellung vorliegt, bei der der Computer weiterrechnen kann als der Mensch. Und natürlich ist es nicht möglich, einen Computerbetrug mit statistischen Methoden zu beweisen, wenn in einer Partie nur bei wenigen einzelnen Zügen der Rechner zuhilfe genommen wurde. Trübe Aussichten. (Und anders als beim Radsport, wo auch gedopte Fahrer spannende Rennen liefern können, dürften Schachturniere, bei denen jeder mit Computerhilfe spielt, schlicht langweilig sein. Zu beobachten beim Fernschach, wo die Remisquote dank Computerhilfe inzwischen an die 90% erreicht.)
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