Einstein und die Relativitätstheorie sind natürlich – neben den im vorigen Artikel besprochenen Inhalten – auch aus wissenschaftssoziologischer Sicht ein eigentlich sehr ergiebiges (aber eher selten behandeltes) Thema: die Relativitätstheorie hat zu allen Zeiten sehr viel mehr irrationale Ablehnung auf sich gezogen als andere Theorien, obwohl ja eigentlich beispielsweise die Quantenmechanik gewohnten Vorstellungen sehr viel mehr zuwiderläuft, von moderneren Entwicklungen der Physik gar nicht zu reden.
In den Social Studies of Science erschien letztes Jahr die Arbeit Marginalization processes in science: The controversy about the theory of relativity in the 1920s von Milena Wazeck. (Autorin des Buches Einsteins Gegner, das 2009 mit dem Georg-Uschmann-Preis für Wissenschaftsgeschichte ausgezeichnet worden war, hier eine deutsche Zusammenfassung.)
Während sich frühere Artikel der Autorin (etwas dort und hier in der FAZ) auch mit dem “bräunlichen Sumpf” der Physik befaßten, geht es diesmal nur um die wissenschaftlich oder philosophisch motivierten Kritiker der Relativitätstheorie – die Autorin will der Frage nachgehen, wie diese innerhalb der Wissenschaft in den 20er Jahren an den Rand gedrängt wurden.
Was man dazu erfährt ist alles ziemlich unspektakulär. Man fühlt sich unwillkürlich an das bekannte Zitat aus Max Plancks Selbstbiographie erinnert: “Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.” (auch wenn das Zitat im Artikel gar nicht vorkommt).
The decline of the anti-Einstein network
While the American section existed at least until 1930, the German Einstein opponents stopped working in the framework of the Academy of Nations around 1925. Gehrcke refrained in the early 1920s from criticizing Einstein publicly, though he remained a devoted Einstein opponent for his entire life and, in the 1950s, still complained about the ‘mass suggestion’ of relativity (Gehrcke to Lothigius, 15 April 1951, GN 50-B-5). The dissolution of the network resulted not only from the withdrawals of the two central figures, Gehrcke and Reuterdahl – the latter had suffered from diabetes in the early 1920s and died in 1933 – but also from a general shift in the perception of the theory of relativity from being an acute problem to a more chronic one. Years of opposition without any substantial impact had led either to isolated resentment or a loss of interest in engaging with the theory. In particular, ether theorists organized themselves into subacademic networks that remained active in the 1950s and beyond. In 1927, Gehrcke reported to Kuehn that he agreed with Lothigius, who had written him that the Academy of Nation ‘had reached its mission by uniting Einstein’s opponents’ (Gehrcke to Kuehn, 27 January 1927, GN 38-I-8). The heterogeneity and international expansion of the Einstein opponents’ network endured as long as the perceived threat posed by the theory of relativity outweighed the differences among them; however, this was no longer the case.
Der Artikel ist recht lang, Abonnenten der Social Studies of Science können ihn hier nachlesen. (Mein Institut gehört übrigens nicht zu den Abonnenten, deshalb Dank an Kommentator “volki” für das Übersenden eines pdf’s.)
Die Entwicklung der Relativitätskritik und ihrer Marginalisierung wird in die folgenden Etappen unterteilt:
Experience of rejection and ignorance: Die Kritiker reichen Arbeiten bei angesehenen Zeitschriften und Vorträge bei angesehenen Tagungen ein, manche weisen Einstein auch in persönlichen Briefen auf seine Fehler hin. Meist wurden sie einfach ignoriert. Soweit es sich um Arbeiten akademischer Physiker handelte, wurden diese war oft veröffentlicht, die Reaktionen der Physiker-Kollegen und teilweise vernichtende Reviews ließen aber bereits eine Marginalisierung erkennen. Manche Einstein-Kritiker suchten schon Anfang der 20er nach neuen Publikationsmöglichkeiten, insbesondere der damals vom Relativitätskritiker Reuterdahl geleitete Wissenschaftsteil des Dearborn Independent wurde zu einem wichtigen Veröffentlichungsorgan.
The defensive attitude: making sense of a marginalized position: Nachdem den Einstein-Gegnern dann also ihre Marginalisierung bewußt (gemacht) geworden war, stellten sie natürlich nicht ihre Argumente in Frage, sondern sahen deren einfache Ablehnung bereits als Unterdrückung an. ‘Pressure is brought to bear on all opponents of Einstein here in America – plenty of it has been applied to me’ schrieb Reuterdahl an Gehrcke, benannte als Beispiele für diese Unterdrückung dann aber nur die Ablehnung durch Fachverlage und akademische Physiker. Der Artikel geht dann ausführlich auf die sich entwickelnden Verschwörungstheorien und vor allem auf die Selbstwahrnehmung als Opfer ein.
Strategic Opposition: Um ihren Thesen trotz der wahrgenommenen Unterdrückung durch die akademische Physik Akzeptanz zu verschaffen, suchten die Einstein-Gegner dann die Unterstützung der breiteren Öffentlichkeit, organisierten öffentliche Veranstaltungen und versuchten eine soziale Bewegung zu schaffen. Die einzige in der Literatur verzeichnete Vereinigungsgründung in diesem Zusammenhang in Deutschland ist die von Paul Weyland vermutlich 1920 gegründete “Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft e.V.”, die aber (wie 1992 von A.Kleinert rekonstruiert) wohl nur Weyland als einziges Mitglied hatte. Dagegen war die in den USA um Reuterdahl gegründete Academy of Nations tatsächlich recht aktiv und hatte auch einen 1921 vom Experimentalphysiker Gehrcke gegründeten deutschen Ableger wie auch zahlreiche in anderen Ländern. (Nobelpreisträger Philipp Lenard, der wohl bekannteste völkische Relativitätskritiker, wurde übrigens kein Mitglied wegen der internationalen Ausrichtung und wohl auch wegen des zweifelhaften wissenschaftlichen Niveaus.) Wie im Artikel dann detailliert ausgeführt wird, bildete diese Academy of Nations eine sehr heterogene Gruppe – einig eigentlich nur in der Ablehnung der Mathematik und der Vorstellung einer Wissenschaft, die einerseits das “Wesen” der Physik und die “absolute Wahrheit” zutage fördert, andererseits aber allgemeinverständlich bleiben solle – die dann verschiedene strategische Allianzen bildete, letztlich aber bald an Bedeutung verlor. Schon Mitte der 20er Jahre zeigten sich Auflösungserscheinungen, Reuterdahl starb 1933, die Organisation existierte in den USA zwar noch bis in die 50er, spielte aber anscheinend keine Rolle mehr in der öffentlichen Diskussion.
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