Eigentlich hatte ich hier über den für jetzt (14 Uhr) auf dem ICM in Seoul angesetzten Vortrag der neuen Fieldsmedaillengewinnerin Maryam Mirzakhani schreiben wollen. Weil der krankheitsbedingt leider abgesagt wurde, nutze ich die freigewordene Stunde nun für ein paar interessante Punkte und Erläuterungen aus der Laudatio vom Mittwoch.
Eine der wohl (in den unterschiedlichsten Gebieten von Zahlentheorie bis Differentialgeometrie) meistverwendeten mathematischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte ist der Ende der 80er Jahre bewiesene Maßstarrheitssatz von Marina Ratner. (In meiner eigenen Doktorarbeit, in der es natürlich um Themen aus der Topologie ging, spielte er auch eine wichtige Rolle.)
Seinen Ursprung hat dieser Satz wohl in der Beobachtung, dass die Orbiten des horozyklischen Flusses einer Fläche gleichmäßig verteilt sind, während die Orbiten des geodätischen Flusses recht wild aussehen können. (Das Bild unten zeigt eine geschlossene Kurve auf der Fläche, der entsprechende Orbit des geodätischen Flusses ist die hochgehobene Kurve im Einheitstangentialbündel.)
Der Grund dafür ist letztlich, dass der horozyklische Fluß von unipotenten Matrizen erzeugt wird und der geodätische Fluß nicht. Marina Ratner hatte dann einen allgemeinen Satz über von unipotenten Elementen erzeugte Flüsse auf lokal-homogenen Räumen bewiesen, der im Wesentlichen besagte, dass die Abschlüsse der Orbiten jeweils wieder Orbiten einer algebraischen Gruppe sind und dass die Orbiten innerhalb dieser Menge gleichverteilt sind. (Siehe auch den Blog von Terence Tao.)
Für den Teichmüllerraum und den Modulraum Riemannscher Flächen (letzterer ist der Quotient des Teichmüllerraums unter der Abbildungsklassengruppe) interessiert man sich in der Mathematik aus vielen Gründen, ein eher abstrakter Grund ist, dass viele Probleme für Abbildungsklassengruppen bzw. den Teichmüllerraum schwieriger sind als etwa für arithmetische Gruppen bzw. homogene Räume. Das ist so in der Gruppentheorie oder der Geometrie, aber auch in der Theorie dynamischer Systeme: Ratners Theorem läßt sich nicht direkt auf Flüsse auf dem Modulraum Riemannscher Flächen anwenden. (Der Modulraum ist völlig inhomogen, er hat keinerlei Symmetrien.) Neuere Preprints von Mirzakhani (mit Eskin und Mohammadi) zeigen nun aber, dass tatsächlich ein zu Ratners Theorem analoger Satz auch für die Wirkung von SL(2,R) auf dem Einheitssphärenbündel des Modulraums gilt. Damit wiederum wird dann gezeigt, dass (obwohl Geodäten im Modulraum “wild” sein können) die Abschlüsse der komplexen Geodäten stets algebraische Varietäten sind. (Komplexe Geodäten sind per Definition Bilder holomorpher Isometrien von der hyperbolischen Ebene in den Modulraum.)
Ein anderes schon etwas älteres Resultat von Mirzakhani hat mit dem “Primzahlsatz” der hyperbolischen Geometrie zu tun. Dieser besagt, dass es auf einer geschlossenen hyperbolischen Fläche approximativ geschlossene Geodäten der Länge kleiner L gibt. (Seinen Namen verdankt er der Analogie zum Primzahlsatz, der approximativ
Primzahlen kleiner eL postuliert.) Mirzakhani hatte spezieller untersucht, wieviele einfache (d.h. nicht mehrmals dieselbe Kurve durchlaufende) geschlossene Geodäten der Länge kleiner L es gibt und das sind
(mit einer von der Fläche abhängenden Konstanten C). Bewiesen hat sie das mit Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den gesamten Modulraum und mit diesen konnte sie dann auch das Volumen des Modulraums (bzgl. der Weil-Petersson-Metrik) berechnen und z.B. einen konzeptuelleren Beweis zur ursprünglich von Kontsevich bewiesenen Witten-Vermutung geben. Ein lustiges Nebenresultat ist die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig gewählte Kurve auf einer Brezelfläche diese in zwei Teile (Zusammenhangskomponenten) zerlegt: die Wahrscheinlichkeit beträgt 1/7.
Quelle für diese Beispiele ist i.W. die Laudation von Curtis McMullen, wo man auch die Quellenangaben zu den Originalarbeiten findet.
Wer übrigens geglaubt hatte, dass sich die Selbstbezogenheit im deutschen Wissenschaftsjournalismus nicht mehr steigern ließe, der wird durch den gestrigen SPIEGEL eines besseren belehrt: unter der Überschrift “Das Schweigen der Mathekönigin” erscheint dort ein zweispaltiger Kommentar, in dem sich ein Frank Thadeusz verbittert darüber ausläßt, dass seine Interviewanfragen von der Pressestelle der Universität Stanford der Krankheit der Professorin wegen abgelehnt wurden, weshalb er nun stattdessen einen beleidigten (und beleidigenden) Kommentar an Stelle eines seriös recherchierten Artikels schreiben müsse … Zum Glück ist der Artikel hinter einer Paywall, so dass er wenigstens nicht im Internet verlinkt werden kann.
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