Will man mit irrationalen Zahlen praktische Berechnungen durchführen, so muß man sie durch rationale Zahlen \frac{p}{q} approximieren und dabei sollte der Nenner natürlich möglichst nicht zu groß sein. Klassisches Beispiel ist die Approximation von π durch \frac{355}{113}, deren Fehler 0.000000266… ist, also etwas zwischen (\frac{1}{113})^3 und (\frac{1}{113})^4.

Erstaunlicherweise ist es so, dass sich algebraische Zahlen schlechter approximieren lassen als transzendente. (Vielleicht nicht mehr ganz so erstaunlich, wenn man sich überlegt, dass sich eine rationale Zahl wie \frac{1}{2} – außer natürlich durch sich selbst – nur durch rationale Zahlen mit deutlich größerem Nenner gut approximieren läßt.) Für praktische Berechnungen mit algebraischen Zahlen ist es oft besser, mit deren Minimalpolynomen zu arbeiten- die haben ganzzahlige Koeffizienten, so dass man ganz ohne Rundungsfehler mit ihnen rechnen kann.

Lange offen war die Frage, wie schlecht sich algebraische Zahlen eigentlich durch rationale Zahlen approximieren lassen. Das wurde in den 50er Jahren durch den vorgestern verstorbenen Klaus Friedrich Roth beantwortet: zu einer algebraischen Zahl α (und einem beliebigen ε>0) gibt es nur endlich viele rationale Zahlen \frac{p}{q} mit $latex \mid\alpha-\frac{p}{q}\mid<\frac{1}{q^{2+\epsilon}}$. Insbesondere gibt es eine Konstante C(\alpha,\epsilon) mit \mid\alpha-\frac{p}{q}\mid>\frac{C(\alpha,\epsilon)}{q^{2+\epsilon}} für alle rationalen Zahlen \frac{p}{q}. Roth verbesserte damit vorhergehende Resultate von Thue und Siegel, weshalb der Satz auch als Satz von Thue-Siegel-Roth firmiert. (Einen "Satz von Roth" gab es auch, bei dem ging es aber um arithmetische Folgen und er ist heute ein Spezialfall des Satzes von Szemerédi.) Der Satz von Thue-Siegel-Roth ist optimal, insbesondere kann man nicht ε=0 setzen. Konstruktive Methoden zur Bestimmung der Anzahl der die Ungleichung erfüllenden rationalen Zahlen wurden in den 60er Jahren von Alan Baker entwickelt.

Die "Nicht-Approximierbarkeit" von Zahlen durch rationale Zahlen ist von großer Bedeutung für die Stabilitätseigenschaften dynamischer Systeme z.B. in der Himmelsmechanik. Zahlen (algebraisch oder transzendent), die die Konklusion des Satzes von Thue-Siegel-Roth erfüllen, werden dort als Zahlen vom Roth-Typ bezeichnet und kommen etwa bei der Untersuchung von Intervallaustauschabbildungen vor, siehe zum Beispiel in Marmi-Moussa-Yoccoz: "The cohomological equation for Roth type interval exchange maps".

Roth war der erste aus Deutschland stammende Mathematiker, der die Fields-Medaille erhielt (1958), danach kamen noch Alexander Grothendieck, Gerd Faltings und Wendelin Werner. (Von den Vieren hatte allerdings nur Faltings auch zum Zeitpunkt der Verleihung noch die deutsche Staatsbürgerschaft.) Seit Ende der 30er Jahre lebte Roth in England und ging dort zur Schule, nach 1945 arbeitete er kurze Zeit als Schullehrer. Über die Fieldsmedaillenentscheidung 1958 gibt es einen Abschnitt in Sylvia Nasars Buch "Auf den fremden Meeren des Denkens".

Kommentare (12)

  1. #1 Stefan Köppel
    12. November 2015

    Möglicherweise leicht bis mittelschwer OT,
    aber mir spuckt schon änger ein Gendanke durch den Kopf, bzg. reeller bzw. irrationaler Zahlen.
    Genauer wegen ihrer Überabzählbarkeit.

    1. Nach Cantors Diagonalargument muß jede Auflistung reeller Zahlen unvollständig sein.

    2. Ein (endlicher) Algorithmus kann durch eine Natürliche Zahl dargestellt werden.
    (z.B. in dem man den Binär oder ASCII Code der kürzesten Implementierung hintereinanderschreibt)

    3. Ich stelle jeder reellen Zahl ihre Algorithmus-Zahl gegenüber.

    Nach 1. ist aber auch diese Aufstellung unvollständig.

    Daraus dürfte folgen, daß es reelle Zahlen gibt, die nicht durch einen endlichen Algorithmus
    dargestellt bzw. berechnet werden können.

    Zu jeder algebraischen Zahl lässt sich offensichtlich durch ein Algorithmus finden.
    Für die prominentesten irrationalen ebenso.

    Also dürften meine “nicht algorithmisch beschreibbahren” reelen Zahlen mindestens eine Teilmenge der irrationalen Zahlen sein.

    Fragen:
    Ist mein Gedankengang so richtig?
    Setzt das nicht eine ziemlich harte Grenze für berechenbarkeint und somit simulierbarkeit?

  2. #2 CG909
    13. November 2015

    @Stefan Köppel: Ja, der Gedankengang ist korrekt.

    Die Menge ℝ ist überabzählbar. Die Menge aller Turingmaschinen (≙ Algorithmen) ist abzählbar. Daraus folgt, dass nicht jede reelle Zahl durch einen Algorithmus beschrieben werden kann.

    Ob das jetzt eine harte Grenze für die Berechenbarkeit setzt, würde ich nicht sagen. Es ist ja schon bekannt, dass viele Probleme, die algorithmisch beschreibbar sind, nicht berechenbar sind.

    Z.B. ist “die nächste reelle Zahl nach 1” algorithmisch beschreibbar, weil die reellen Zahlen total geordnet sind. Sie ist aber nicht berechenbar. Dein Beweis sagt ja nur aus, dass es Zahlen gibt, für die man noch nicht mal eine (endliche) Beschreibung finden kann. Diese Zahlen sind genau deshalb aber auch recht uninteressant, denn jede Zahl, die du konkret in irgendeiner Form beschreiben kannst, zählt ja offensichtlich nicht zu dieser Menge.

  3. #3 Thilo
    13. November 2015

    Die nächste reelle Zahl nach 1? Verstehe ich nicht, was soll das sein?

  4. #4 Thilo
    13. November 2015

    Ah, Du meinst, wenn man eine Wohlordnung auf den reellen Zahlen definiert. Und die läßt sich nicht berechnen. (Ich nehme an, man braucht das Auswahlaxiom?)

  5. #5 CG909
    13. November 2015

    Genau. Die reellen Zahlen sind ja ein geordneter Körper und damit total geordnet. Deshalb könnte man einen Algorithmus formulieren, der die nächste Zahl > 1 sucht. Weil zwischen jeder gefundenen Zahl x und 1 aber wieder reelle Zahlen existieren (dürfte aus dem Vollständigkeitsaxiom folgen), kann der Algorithmus nicht terminieren.

    Ich glaube, man braucht das Auswahlaxiom nicht, weil man für Intervalle reeller Zahlen auch so eine Auswahlfunktion definieren kann. Sicher bin ich mir aber gerade nicht.

  6. #6 Stefan Köppel
    13. November 2015

    Naja, ob die “nicht algorithmisch beschreibbaren Zahlen” (haben die eigentlich einen griffigeren Namen?) gänzlich uninteressant sind, bin ich mir nicht so sicher.
    Philosophisch sind sie auf jeden Fall interessant:

    Man könnte zum Beispiel spaßhalbar behaupten, daß alle realen physikalischen größen aus solchen “nicht algortihmisch beschreibbaren” Zahlen bestehen.
    Alles was wir in einem solchen Universum messen können sind ungenaue Näherungen, oder Relationen zweier solcher Zahlen.

    Naturgesetze eines solchen Universums, wären mathematisch/ algorithmisch beliebig genau und vollständig, nur nie exakt.

  7. #7 Gast
    14. November 2015

    Was ist mit Liouville?

  8. #8 Thilo
    14. November 2015

    Der Satz von Thue-Siegel-Roth ist eine Verbesserung von Liouville’s Theorem, denn das gibt für algebraische Zahlen vom Grad n nur eine Abschätzung |x-p/q| > 1/q^n (für fast alle p/q), was im Allgemeinen eine schlechtere Abschätzung ist als 1/q^(2+epsilon).

  9. #9 Gast
    15. November 2015

    Ist es gut, wenn epsilon groß ist, oder klein?

  10. #10 Thilo
    15. November 2015

    Man hätte gern ein möglichst kleines epsilon, weil es dann für größere epsilon erst recht nur endlich viele Lösungen geben kann.

  11. […] algebraische Zahlen x zu jedem c>0 nur endlich viele p/q mit |x-p/q| < 1/q2+c gibt, was 1955 von K. F. Roth bewiesen […]