Normalerweise schreibe ich hier ja nicht über zweifelhafte Beweise berühmter Vermutungen, aber nachdem nun nicht nur die BBC, sondern inzwischen auch deutsche Medien wie Bild, Focus Online (mit Video!) und n24 darüber berichten, kann ich es dann doch nicht unkommentiert lassen.

Es geht um die seit 156 Jahren offene Riemann-Vermutung, eines der vom Clay-Institut mit einem Preisgeld von 1 Million Dollar ausgelobten Milleniumprobleme. Die Vermutung besagt, dass Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion auf einer Geraden liegen; falls korrekt würde das beweisen, dass sich die Fehlerabschätzungen im Primzahlsatz nicht weiter verbessern lassen. (Wir hatten hier zum 150. Jahrestag darüber geschrieben.)

Der nun in den Medien gehypte angebliche Beweis wurde letzte Woche auf einer Konferenz in Wien präsentiert. Die Zusammenfassung im Tagungsband liest sich wie folgt:
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Wer schon einmal mit der Organisation einer mathematischen Konferenz zu tun hatte, der kennt aus ergoogelten Schlagworten zusammengesetzten Abstracts, mit denen sich immer wieder mal einzelne Teilnehmer bewerben. (Warum auch immer.) Der hier scheint keine Ausnahme zu sein. Natürlich kann man anhand eines Abstracts keine Fehler nachweisen (dazu bräuchte man den Preprint, den es anscheinend aber nicht gibt), aber es macht einfach alles nicht richtig Sinn. Angefangen mit Kleinigkeiten (die rechte Seite der Formel ist nicht bilinear, allenfalls quadratisch und eigentlich auch das nicht, und es ist auch nicht einsichtig, warum man die Summe zweier quadratischer Funktionen brauchen sollte, um die Wurzel aus einer positiven Zahl zu ziehen, und überhaupt: warum schreibt er nicht einfach || ζ(z) || statt φ(t)?) bis hin zu grundsätzlicheren Fragen (was soll ein von einer Matrix erzeugtes Punktspektrum sein?) sieht das alles nicht sehr sinnvoll aus und es wäre wohl besser gewesen, die Medienvertreter hätten erstmal jemanden gefragt, der sich auskennt, oder eben das Erscheinen des Preprints abgewartet.

Mehr Informationen bei aperiodical (mit Fortsetzung)

Kommentare (7)

  1. #1 Serge
    20. November 2015

    Wenn “Bild” & “Focus” berichten und die Nigeria Connection*1 involviert ist, dann ist das nur einen knatternden Furz wert.

    *1
    https://de.wikipedia.org/wiki/Nigeria_Connection

  2. #2 rankzero
    20. November 2015

    Dass bei der Konferenz offenbar alles angenommen wird, verwundert nicht so, da anscheinend eine weitere Verbandelung mit einem Bezahl-Open-Access-Publisher (Adeo Media LLP) besteht, der verspricht, die Konferenzbeiträge mindestens teilweise in einem zweifelhaften “Journal of Mathematics” zu publizieren. Den Teilnehmerzahlen (aufgrund des Bandes) nach zu urteilen, dürfte diese Art von Konferenzen immer noch ebenso ein lukratives Geschäft sein wie das predatory publishing; hinter dieser Serie steckt nach Webseite & Aussage auf eigener Homepage eine Frau Dr. Nina Ringo, die mathematisch zuletzt um die Mitte der 80er in der Sowjetunion etwas in Ingenieurwissenschaften und Kontrolltheorie gemacht hat – die späteren Adressen nach dem Umzug nach Finnland dürften überwiegend zum Typ “Privatinstitut” gehören.

  3. #3 Mr. MIR
    20. November 2015

    Homöopathen forschen so ähnlich. Ramen.

  4. #4 Lercherl
    20. November 2015

    Gestern gab es dazu heftige Diskussionen auf Wikipedia, es ist letztlich aber doch gelungen, diesen Unsinn von https://de.wikipedia.org/wiki/Riemannsche_Vermutung fernzuhalten.

  5. #5 Name auf Verlangen entfernt
    21. November 2015

    @ Mr. MIR: tun sie nicht, Homöopathen sind reine Empiriker.

  6. #6 rolak
    21. November 2015

    Homöopathen sind reine Empiriker

    Wohl erkannt, MThead, genau wie die Astrologen: Beide trennen höchst empirisch eigenschauend Blödsinn von Substantiellem – und beide bleiben unerschütterlich bei ersterem.

  7. #7 quadrocopterversicherung.com
    28. April 2017

    Krasser Beitrag. Aber man muss auch sehen, dass Dinge nicht immer so simpel sind. Bodenständigkeit ist oft besser als Wolkenkuckungsheime.

    https://quadrocopterversicherung.com/