Die Presse berichtet über die Entdeckung einer babylonischen Tontafel mit geometrischen Berechnungen der Jupiter-Bahn, die man bisher eigentlich dem Europa des 14. Jahrhunderts zugeschrieben hatte. (Jupiter-Bahn: Babylonier rechneten mit Trapez-Formel auf Spiegel Online. Der ursprüngliche Artikel von Matthieu Ossendrijver ist in “Science” erschienen.)
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Was wird dort nun mathematisch gemacht? Das obige Bild aus “Science” zeigt eine grafische Rekonstruktion der Berechnungen. Dabei ist zu beachten, dass die Babylonier das Sexigesimalsystem verwendeten. 0;12 bedeutet also 12/60=1/5 und 0;9,30 bedeutet 9/60+30/602=19/120. Ensprechend steht der Mittelwert 0;10,45 für 10/60+45/602=43/240. Und die Zeiteinheiten 1,0 und 2,0 stehen natürlich für 60 und 120.

Man hat also am Tag 0 gemessen, dass sich der Jupiter um 1/5 Grad bewegte, am Tag 60 hat man gemessen, dass er sich um 19/120 Grad bewegte und am Tag 120 hat er sich schließlich um 1/40 Grad bewegt. Und dann ging man bei den weiteren Berechnungen davon aus, dass die Bewegung (in Grad pro Tag) eine stückweise lineare Funktion ist, also von Tag 0 bis Tag 60 linear abnahm und von Tag 60 bis Tag 120 entsprechend schneller ebenfalls linear.

Die Babylonier wußten damals durchaus schon mit quadratischen Funktionen zu rechnen und man fragt sich, warum sie eine stückweise lineare Funktion ansetzten. Anscheinend kannten sie bereits das eigentlich erst britischen und frazösischen Wissenschaftlern des 14. Jahrhunderts zugeschriebene Mean Speed Theorem über gleichmäßig beschleunigte Körper.

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Noch bemerkenswerter ist vielleicht die nächste Rechnung: “concerned with the time in which Jupiter reaches a position referred to by a term tentatively translated
as the “crossing””. Hier ging es darum, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die Hälfte des Weges (zwischen Tag 0 und Tag 60) zurückgelegt ist.

Die Formel für die Ordinate ist v_c=\sqrt{\frac{v_0^2+v_{60}^2}{2}} und auch die hatte man wohl bisher eher dem 14. Jahrhundert zugeordnet. In diesem Fall ergibt sich vc=0;10,49… und tc=28;15,42….

Nach gut 28 Tagen hat Jupiter also die Hälfte der bis zum 60. Tag zurückgelegten Wegstrecke erreicht.

Kommentare (19)

  1. #1 Name auf Verlangen entfernt
    29. Januar 2016

    Schöne Illustration zur Entwicklung der Geometrie aus dem Geist der Astrologie: denn das sollte man aus Gründen der Redlichkeit zusätzlich erwähnen, daß die babylonischen “Astronomen” solche Berechnungen nur zu einem einzigen Zweck entwickelt und aufgestellt haben: zur astrologischen Himmelskunde. Jupiter war ihnen dabei besonders wichtig, weil aus dem 60-jährigen Jupiter/Saturn Rhythmus das Sexigemisalsystem begründet wurde.

  2. #2 christian groschke
    29. Januar 2016

    Sexigesimal … nicht Sexigemisal

  3. #3 rolak
    29. Januar 2016

    Wie zu erwarten, Scharlatane zieht dies Thema an wie die Schmeißfliegen. Insbesondere, wenn sie auch noch völlig absurden Blödsinn zur Missionierung auf der Pfanne haben. Keine Ahnung vom Zählen, aber den Altvorderen die Fähigkeit dazu absprechen – immerhin sind die Abweichungen des Rhythmus der Großen Konstellationen selbst für Volldeppen in Strichlisten erkennbar: alle etwa 60 Jahre an ähnlicher Stelle.
    Ausschließlich Astrologen mit ihrer langjährigen Schulung in Realitätsausblendung können darin einen 60Jahre-Rhythmus sehen.

  4. #4 rolak
    29. Januar 2016

    Sexigesimal … nicht Sexigemisal

    Daß MThead keine Ahnung von prinzipiell egal was hat, ist eine Binsenweisheit, christian, aber andere nennen es anders.
    Kann es sein, daß Dir das mit ‘y’ durch den Schädel geisterte?

  5. #5 Name auf Verlangen entfernt
    29. Januar 2016

    @ christian goschke: klar, thanks.

  6. #6 Name auf Verlangen entfernt
    29. Januar 2016

    @ rolak: “Ausschließlich Astrologen mit ihrer langjährigen Schulung in Realitätsausblendung können darin einen 60Jahre-Rhythmus sehen.” – genau – und die alten Babylonier waren gerade ausschließlich realitätsferne Astrologen, sofern sie Himmelskunde betrieben. Ihnen haben wir auch die 7-Tage Woche und den 12/24-stündigen Tag zu verdanken …

  7. #7 Herr Senf
    30. Januar 2016

    Die babylonischen Astronomen waren observierende quantitative Beobachter.
    Schon damals haben die Astrolügner deren Fakten geklaut, um ihre Deppenvorstellungen dem gemeinen Volk mit unhaltbaren Versprechungen gegen Bares anzudrehen.
    Und diese Betrugsmasche funktioniert bis heute und wird fleißig ausgenutzt.

  8. #8 Name auf Verlangen entfernt
    30. Januar 2016

    @ Herr Senf: “Quantitative” Astronomie ist immer nur als Tabellarium – später auch Ephemeriden zur astrologsichen Einordnung in Kultur & sozialem Leben bekannt. (Wie heute auch). Planeten waren Götter:

    https://amor.cms.hu-berlin.de/~ossendrm/babylon08-ossendrijver.pdf

    Denken Sie mal umfassender: das soziale Leben, Kult, Kalender, Vorhersagen: alles Eines. In Babylon wurden auch die Ämter nach Gesichtspunkten der Himmelsdeutung besetzt: das heißt nunmal Astrologie. Die Vorstellung einer unabhängigen “Astronomie” wäre völlig sinnlos und zweckfrei.

  9. #9 rolak
    30. Januar 2016

    Ihnen [den alten Babyloniern] haben wir auch die 7-Tage Woche

    Lächerlich. Schon mal was vom Alten Reich gehört? Die wandelsternzugeordnete gottbenannte viertelmondphasige Woche hatten die weit früher.

    und den 12/24-stündigen Tag

    Erstens ausschließlich 24 (sicherlich grob verwechselt mit der 12-Stunden-Zählung, ne, MatheGenie? Auch dort umfaßt der Tag 24h) und zweitens nicht nur ebenfalls schon im alten Reich so aufgeteilt, sondern auch noch vom Winkelmaß abgeleitet.
    Wie schon gesagt, langjährige Schulung in Realitätsausblendung.

    Betrugsmasche funktioniert bis heute

    Sehr offensichtlich, Herr Senf, insbesondere bei den leichtesten, weil wohlkonditionierten Opfern: den Astrologen selber.

  10. #10 Herr Senf
    30. Januar 2016

    Warum müsse Astrolügner immer lügen?
    Der älteste überlieferte babylonische Text dazu 2000 vdZ (Nippur) ist Astronomie pur ohne Esogequatsche. Danach kamen “astrologische” Deutungen dazu und 1800 vdZ kaperten die Astrolügner die mathematische Astronomie über 500 Jahre für ihre Machtbedürfnisse und hinderten den wissenschaftlichen Fortschritt mit Bulshit.
    Später konnte sich die Astronomie von dem Esowürgegriff der Astrolügner frei machen.
    Seit 800 vdZ gab es “staatliche Sterngucker” mit ordentlichem Einkommen, die mußten kein Geld mit betrügerischen Astrolügen verdienen – die mathematische Astronomie war “frei”.
    Im christlichen Mittelalter war Astrolügen als Aberglaube verboten, wer hat nur dieses Verbot aufgehoben?
    Seitdem gehen sie uns mit dem “modernisierten” Esogequatsche wieder voll auf den Keks.

  11. #11 rolak
    30. Januar 2016

    Text dazu 2000 vdZ (Nippur) … 800 vdZ

    Jetzt machste mich neugierig, Herr Senf, weswegen ich auch meinen nicht dazu gebe, sondern schlicht nach einem rechten link frage. Quelloffen, egal ob mit Bibliotheksbesuch verbunden oder klickbar. Biete einen alten Witz und eine schnelle aktuelle heiße Nummer ;‑)

  12. #12 Name auf Verlangen entfernt
    30. Januar 2016

    @ H. Senf, rolak: Ihr möchtet ernsthaft aus den alten Babyloniern ein Volk von gekaperten Astronomen machen, die eigentlich nur brav und völlig sinnlos die Sterne zählten? Die Verlagerung ins Alte Reich ist ja noch viel astrologischer – wollen wir über Sirius reden? Die Dekane?

  13. #13 Herr Senf
    30. Januar 2016

    @rolak
    Ernst F. Weidner “Handbuch der babylonischen Astronomie”
    Leipzig 1915! 146 Seiten, so alt wie die ART
    e-book 2,77€ oder eingeschränkte Vorschau

  14. #14 Lercherl
    30. Januar 2016

    Ernst F. Weidner “Handbuch der babylonischen Astronomie” gib’ts auch hier:
    https://archive.org/details/handbuchderbabyl01weiduoft

  15. #15 rolak
    30. Januar 2016

    Ach wie gut, daß der Film unbedingt zuende gesehen und der Sauerteig motiviert werden mußte. Zum Lesen gefällt mir toter Baum immer noch besser – doch zum Sichten und Suchen ist digitalisiert schlicht grandios, selbst in der frei vorhandenen rudimentären, kaum bearbeiteten Form. There’s plenty to do on the internet.
    Schönen Dank an Herrn Senf und Lercherl (nicht die Nachtigall) für den präzisen Doppelpaß!

    Wenn es archive·org nicht schon gäbe, müßte es ganz dringend erfunden werden…

  16. #16 Name auf Verlangen entfernt
    30. Januar 2016

    Lest ihr auch die Texte, die ihr da verlinkt?! So schreibt Jeremias Alfred (“Das Alter der Babylonischen Astronomie”, 1908, S. 20):

    “Und auch die empirischen Beobachtungen werden nicht um der Beobachtungen angestellt. Sammelwissenschaft im moderenen Sinne kennt der Orientale auch nicht. Er sammelt und beobachtet um eines bestimmten praktischen Zweckes willen und nur um dieses Zweckes willen. Der praktische Zweck ist hier die Nutzanwendung in der Astrologie und im letzten Grunde die Anwendung des Grundsatzes, daß Welt und Mensch mit dem Lauf der Gestirne unlösbar verbunden sind.” (Hervorhebung M.T.)

    Eure Literaturangaben belegen somit mithin das genaue Gegenteil des von euch Behaupteten.

    @ rolak: es ist ein bewährtes Mittel aller Kryptiker, Fachwissen durch Unverständlichkeit und Geheimnistuerei vorzutäuschen. Du kannst sicher erklären, was der “Sauerteig” mit dem Thema zu tun hat?

  17. #17 Herr Senf
    31. Januar 2016

    Man sollte wohl im Laufe der Kulturevolution einiges sauber trennen:

    – Gestirnsreligionen und “Priesterastronomie” mit anfänglich mündlicher Überlieferung
    – Beobachtungen durch “Sterndeuter” und quantitative Beobachter durch Gelehrte
    – Entwicklung “zweier Welten” bei -2000 Astrologie und mathematische Astronomie,
    wobei nicht widersprochen wird, daß zwischen den Gruppen auch Beobachtungen ausgetauscht wurden oder in späteren “Himmelsbeschreibungen” auftauchten, dazu brauchte es einer Schriftsprache, entwickelte Algebra und Geometrie
    – “Regierungspolitik” förderte zeitweilig die orakelnde Astrologie als Machthebel
    – nach dem vorübergehenden Verlust dieser “Kompetenz” der Astrologie hat sie sich dennoch wieder gesellschaftlich als Aberglaube eingeschlichen
    – und heute geht das “Fach Astrologie” im Beliebigkeitssumpf der Esoterik auf und unter,
    die Scharlatanerie kann man nur Bildungsbemangelten und Verstörten verkaufen,
    das wird schamlos von den neuen Astrolügnern als Geschäftsmodell ausgenutzt

    Wer mal richtig ablachen will, muß Esomessen besuchen, da werden Sie veraxxxxt.

  18. #18 Name auf Verlangen entfernt
    31. Januar 2016

    @ Herr Senf: Ich finde eine Besichtigung des CERN ist auch gruselig – zu Eso-Messen geh ich nicht, war da noch nie (die Plakate sehen immer so ähnlich aus, wie die für Erotik-Messen) – lasse mir aber gern von Ihnen berichten: Sie haben sicher vollkommen recht, aber sowas gibts eben.

    Von welcher “Kulturrevolution” sprechen Sie? Meinen Sie die chinesische, die man gemeinhin mit diesem Begriff verbindet, oder eine andere, und seit wann läuft sie? Wie lange geht sie noch?

    Hier geht´s erstmal darum, daß zumindest im alten Babylon ihre Forderung:

    “Beobachtungen durch “Sterndeuter” und quantitative Beobachter durch Gelehrte” eben einfach nicht gegeben war, und das gilt auch für unsere europäische Goldhut-Kalenderkultur, von der Sie sicher schon gehört haben? Die Handelswege nach Babylon und zurück sind durch Bernstein belegt.

    Wenn man es genau bedenkt, sind auch heute noch Astronomen und Kosmologen Deuter im Dienste der Göttin “Natur” … , also eigentlich Astrologen.