Die Internationale Mathematiker-Vereinigung IMU verkündet ein großangelegtes Stipendienprogramm für Doktoranden aus Entwicklungsländern.

The IMU has recently launched the novel IMU Breakout Graduate Fellowship Program.
Thanks to a generous donation by the winners of the Breakthrough Prizes in Mathematics Ian Agol, Simon Donaldson, Maxim Kontsevich, Jacob Lurie, Terence Tao and Richard Taylor IMU with the assistance of FIMU (Friends of the IMU) and TWAS (The World Academy of Sciences) has launched a fellowship program to support postgraduate studies in a developing country, leading to a PhD degree in the mathematical sciences. The IMU Breakout Graduate Fellowships will offer a limited number of grants for excellent students from developing countries. The program will be administered by CDC (Commission for Developing Countries), a
commission of IMU.
Professional mathematicians are invited to nominate highly motivated and mathematically talented students from developing countries who plan to complete a doctoral degree in a developing country, including their own home country. Nominees must have a consistently good academic record from the high school level and must be seriously interested in pursuing a career of research and teaching in mathematics.

Das klingt natürlich erstmal großartig, Stipendien für Mathematik-Doktoranden aus Entwicklungsländern; etwas ungewöhnlich nur die Bedingung, dass das Stipendium ausschließlich für ein Studium in einem anderen Entwicklungsland oder dem Heimatland verwendet werden darf.
Das Programm war erstmals auf dem ICM 2014 in Seoul angekündigt worden (damals noch mit Philipp Griffiths als Hauptsponsor, der dort gerade die Chern-Medaille gewonnen hatte), die sechs Breakthrough-Preisträger spenden jetzt jeweils 10% ihres 3-Millionen-Preisgeldes.
Als Ziel wurde damals (in Seoul) genannt, dass man dem “brain drain” entgegenwirken wolle, indem man Studenten aus Entwicklungsländern die Möglichkeit gibt, in ihrem Heimatland (oder einem anderen Entwicklungsland) zu promovieren.
Das Thema war dann bspw. auf dem HLF in Heidelberg öffentlich diskutiert worden, wir hatten hier berichtet.
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Auf der Diskussion war damals von Teilnehmern aus Drittweltländern klar dargestellt worden, dass das Problem der wenigen naturwissenschaftlichen oder mathematischen Promotionen in diesen Ländern keines der fehlenden Doktorandenstipendien ist. (Offensichtlich ist ein Studium/eine Promotion in den USA oder Großbritannien teurer als im Heimatland oder in einem anderen Entwicklungsland.) Das Problem ist vielmehr, dass es in vielen Ländern bisher kaum Professoren gibt, die Doktorarbeiten betreuen können oder auch nur wollen. Selbst bei Masterarbeiten ist es oft schwierig. Eine Teilnehmerin aus dem Sudan brachte es so auf den Punkt: Professoren sind gerne bereit, Studenten eine Masterarbeit schreiben zu lassen, der Student soll sich aber selbst um ein Thema kümmern und keine Betreuung erwarten.
Das Problem mit Master- und erst recht Doktorarbeiten in Entwicklungsländern ist also in erster Linie die fehlende Betreuung und nicht so sehr die fehlenden Stipendien. Geld für die wenigen Doktoranden ist oft durchaus vorhanden, mit diesem werden diese aber mangels inländischer Betreuungsmöglichkeiten dann ins Ausland geschickt.
Wie damals auch die schon verlinkte Diskussion auf dem HLF gezeigt hatte, funktionieren Promotionsprogramme in Entwicklungsländern in der Regel dann, wenn es eine international organisierte Zusammenarbeit zur Betreuung der Dissertationen gibt (wir hatten hier über das Informatik-Promotionsprogramm im Sudan geschrieben).
Das alles war, wie gesagt, auf dem HLF (und bestimmt auch bei anderen Veranstaltungen) so diskutiert worden. Trotzdem hat diese Diskussion anscheinend das IMU Breakout Graduate Fellowship Program in keiner Weise beeinflusst.

Kommentare (4)

  1. #1 Joachim
    28. April 2016

    Gerade die Bedingung ist vernünftig. Zieht man die gute Mathematiker aus den Entwicklungsländern schon während der Doktorarbeit ab, werden sie nicht heimkehren und fehlen dem Entwicklungsland! So besteht die Hoffnung, daß sie in der Heimat bleiben und vielleicht dazu beitragen, daß es sich weiterentwickelt. Je man die klugen Köpfe abzieht, desto geringer die Chance, daß das Entwicklungsland aufsteigt. Sicher, irgendwann werden sie auch die Heimat verlassen weil es in Industrieländern mehr zu verdienen gibt, je länger sie aber in der Heimat bleiben, desto besser für den Aufstieg des Landes. Koppelt man die Förderung gar mit einem Aufenthalt in einem Industrieland, wäre es eher wie ein Ausbeuten zu Kolonialzeiten.

  2. #2 Thilo
    28. April 2016

    Wohin Leute nach der Promotion gehen, wird von verschiedenen Dingen abhängen. (Im akademischen Bereich kommen die Leute nach der Promotion oft wieder, schon weil sie an einer US-Uni gar keinen Job kriegen.) Aber das ist ja hier überhaupt nicht der Punkt, um den es geht. Wenn man will, dass Leute in Entwicklungsländern promovieren, dann braucht man dort vernünftige Promotionsprogramme. Stipendien braucht man weniger, denn die gibt es schon (meist aus Studiengebühren finanziert). Die Doktoranden gehen nicht deshalb ins Ausland, weil sie zuhause kein Stipendium bekommen würden, sondern weil es zuhause keine Promotionsprogramme, keine Betreuung und keine aktive Forschung gibt.

  3. #3 rank zero
    30. April 2016

    Beides ist völlig richtig – der Flaschenhals sind die mangelnden Betreuungsmöglichkeiten in den Ländern, und diese werden sich auch nicht bessern, wenn die klugen Köpfe nach Abschluss ihrer wissenschaftlichen Ausbildung im Ausland bleiben. Um den Teufelskreis zu durchbrechen, konzentrieren sich m.W. z.B. die EMS oder CIMPA seit langem (und in einer Reihe von Fällen langfristig erfolgreich) darauf, profilierte Wissenschaftler für von Kurse, Workshops oder längere Betreuungspartnerschaften vor Ort zu gewinnen. Das benötigt allerdings vor allem Personen und erst in zweiter Linie Geld (das auch) – nicht viele Professor(inn)en mit einem grundsätzlich relativ sorgenfreiem Leben wären bereit, etwa im Südsudan zu unterrichten, selbst wenn hierfür viel Geld zur Verfügung stünde.

    Das IMU-Stipendienprogramm könnte im Grundsatz funktionieren, wenn es kritische Masse von armen Ländern mit einem bereits ausreichenden Niveau an guter mathematischer Ausbildung gibt (historisch bedingt ist das etwa möglicherweise noch in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion der Fall, die ökonomisch inzwischen auf Entwicklungsländerniveau sind). Im Idealfall könnte das Programm erreichen, dass Talente aus Ländern mit praktisch völlig fehlender mathematischer Infrastruktur an positiven Entwicklungen in anderen Entwicklungsländern partizipieren könnten.

  4. #4 Thilo
    30. November 2016

    Die Stipendien für 2016 wurden jetzt vergeben. Es sind nur drei, und zwei davon gehen nach Vietnam und Kolumbien, die man wohl nur bei großzügiger Auslegung als mathematische Entwicklungsländer bezeichnen kann. (Das dritte Stipendium immerhin geht an einen in Botswana promovierenden Äthiopier.)

    https://www.mathunion.org/cdc/grants/imu-breakout-graduate-fellowship-program/awardees-2016/