Sieben Rechensünden
Einiges Aufsehen erregte vor sieben Jahren eine Studie der britischen Regierung, derzufolge 49,1 Prozent der erwachsenen Briten geringere Rechenfertigkeiten haben als sie von 9- bis 11-jährigen erwartet werden, während das beim Lesen und Schreiben nur auf 14,9 Prozent zuträfe. Erklärt das das Abstimmungsergebnis beim Brexit?
Vergleichbare Studien in Deutschland scheint es nicht zu geben. Der “Hohlspiegel” des SPIEGEL präsentiert aber regelmäßig Beispiele wie die folgenden sieben aus der deutschen Presse.
Im Juli scheitert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Artikel über die Fantasyserie {\em Game of Thrones} an den Grundrechenarten:
Die kommenden fünfzehn Episoden – sieben in Staffel sieben, sechs in Staffel acht – werden unter diese Spekulation einen Schlußstrich setzen.
Und bei ndr.de hapert es sogar an einfachen Größenvergleichen:
Neun der acht Angeklagten einer mutmaßlichen Geldautomaten-Bande haben ein Geständnis abgelegt.
Immerhin erst beim Stoff der Sekundarschule strauchelt die dpa:
Vor allem Wirtschaftswissenschaftler werden derzeit gesucht. Erstmals seit 2011 gehören sie zu den am häufigsten gesuchten Fachkräften. Fast jedes fünfte Stellenangebot (4,5 Prozent) richtet sich an sie.
Im Vergleich damit geradezu subtil ist dann schon die Prozentrechnung der Frankfurter Rundschau:
Heißt das jetzt, mehr als 122 Prozent der Deutschen können keine Prozentrechnung? Oder doch nur:
Ich dachte, Du regelst das Finanzielle.
Häh, was? Ich verlass mich doch immer auf Dich!
Bei der unten abgebildeten Überschrift aus der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung frage ich mich, ob das nur ein Zahlendreher ist oder die redegewandten Banker es inzwischen schaffen, den mitstenografierenden Journalisten eine Halbierung der Dividende als Verdoppelung zu verkaufen?
“Warum kann der nesciens se numerare animus nur bis fünf und nicht bis sieben zählen?” fragte schon 1822 die Neue Musikalische Zeitung – und gab die Antwort: “… in der Harmonik machte niemand Glück damit”.
Ist Sieben normal?
Es ist ja eigentlich schon ein alter Hut, die Geschichte vom Kulturverteidiger, der auf die Fangfrage nach arabischen Ziffern hereinfällt und dann zwangsweise
wieder mit den kultureigenen römischen Ziffern rechnen muss. Eine neue Version davon gab es jetzt doch noch einmal Ende August auf einer Wahlkampfveranstaltung zur Bürgermeisterwahl im saarländischen Völklingen. Der Vertreter der Spaß partei “Die Partei” wies dort den örtlichen NPD-Kandidaten darauf hin, dass in Völklingen viele Hausnummern mit arabischen Zahlen gekennzeichnet seien und fragte ihn, wie er gegen diese schleichende Überfremdung vorgehen wolle. Der reagierte prompt:
Da warten Sie ab, Herr Faust, wenn ich Oberbürgermeister bin, dann werde ich das ändern, da werden dann mal normale Zahlen drankommen.
Normale Zahlen sind bekanntlich reelle Zahlen, unter deren Nachkommaziffern für jedes alle möglichen k-stelligen Ziffernblöcke mit gleichen asymptotischen relativen Häufigkeiten auftreten. (https://de.wikipedia.org/wiki/Normale Zahl)
Der Wunsch des NPD-Kandidaten dürfte nicht schwer zu erfüllen sein: seit Emile Borel wissen wir, dass fast alle Zahlen normal sind – die nicht normalen Zahlen bilden eine Menge vom Lebesgue-Maß Null.
Ob man dann auch π als Hausnummer verwenden dürfte … das ist ein immer noch ungelöstes Problem der Zahlentheorie.
Bekannte normale Zahlen, die die NPD also als Hausnummern genehmigen würde, sind aber jedenfalls 0,2357111317192329313741434753… oder 0123456789101112131415…. Letztere entsteht durch Hintereinanderschreiben der arabischen Ziffernfolgen aller natürlichen Zahlen.
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