Es gab ja neulich hier in den Kommentarspalten zum Artikel Mathematik im mittelalterlichen Islam eine recht verbissene Diskussion darüber, wieweit man (im Bezug auf das Mittelalter) von einer islamischen Mathematik sprechen könne. (Der Wikipedia-Artikel, um den es ging, wurde übrigens inzwischen in Mathematik in der Blütezeit des Islam umbenannt.)
Im Augsburger Mathematik-Kolloquium gab es heute abend einen Vortrag über islamische astronomische Tabellen in China. Die „islamischen astronomischen Tabellen“, um die es ging, vor allem das Huihui Lifa, waren durchaus in China erarbeitete Tabellen, die sich aber im Stil (also in Form und Aufbau) sehr an den Zij – also den (wie im Bild oben) aus Arabien und Persien stammenden und in der Literatur üblicherweise als islamische astronomische Bücher bezeichneten Werken – orientierten. Mit „islamisch“ ist in diesem Kontext also durchaus ein bestimmter Buchstil und nicht die Herkunft der Werke gemeint.
Durch die Mongolenzüge im 13. Jahrhundert war islamisches astronomisches Wissen auch nach China und Korea gekommen. Es gab dann auch einige islamische Wissenschaftler in Peking, die den Beruf des Astronomen in der Regel an ihre Kinder vererbten. Trotzdem sollte man nicht davon ausgehen, dass es sich bei den Autoren der chinesischen „islamischen astronomischen Tabellen“ überwiegend um Moslems gehandelt hätte. Heißt: auch wenn man im Kontext des Mittelalters von islamischer Astronomie oder islamischer Mathematik spricht, ist damit nicht gemeint, dass es zu dieser Zeit noch eine strikte Trennung zwischen den Kulturen gegeben hätte. Wenn Arbeiten chinesischer Astronomen im Stil alter persischer Bücher verfaßt wurden, dann bezeichnen die Wissenschaftshistoriker diese Werke als „islamische astronomische Tabellen“ ohne dass dies etwas über nationale oder religiöse Zugehörigkeit der Autoren aussagen würde. So wie die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik nicht nur von Dänen vertreten wird oder die Italienische Schule der algebraischen Geometrie nur ungefähr zur Hälfte aus Italienern bestand.
Ein anderer interessanter Aspekt des Vortrags: astronomische Tabellen enthalten ja natürlich viele Fehler, die sich beim Abschreiben noch vervielfachen, und der Vortragende sprach über mathematische (numerische und statistische) Methoden, mit denen er solche Fehler in alten Tabellen systematisch aufspürt.
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