Selten war ein Thema aus der mathematischen Forschung so in den Medien präsent wie in den letzten Tagen die perfektoiden Räume. Der SPIEGEL hatte in seiner vorletzten Ausgabe noch behauptet
Scholzes Arbeiten kann jeder mathematisch Gebildete verstehen.
während die TITANIC in einem eher unlustigen Beitrag meinte
Sie können sich darunter überhaupt nichts vorstellen. Die Menschen, die mir da auch nur ansatzweise folgen können, kann man an einer Hand abzählen – es sind sieben bis acht.
Die Süddeutsche Zeitung beklagte sich
Das Konzept der perfektoiden Räume gilt als eines der schwierigsten Konzepte, die je in die Mathematik eingeführt wurden. Der lustigste Moment in den Berichten der vergangenen Tage ist dementsprechend der Moment, an dem – Kategorie: von Laien für Ahnungslose – versucht wird zu erklären, was Scholze herausgefunden hat, was also perfektoide Räume nun eigentlich sein sollen. Selten erkannte sich der Journalismus so demütig als Wortmusik. Scholzes perfektoide Räume hätten wenig mit der Laienvorstellung vom Raum zu tun, liest man da, sie basierten “statt auf den reellen auf den exotischen sogenannten p-adischen Zahlen”. Anderswo steht zart zirkulär, dass in Scholzes Welt “Probleme aus der Zahlentheorie so in eine geometrische Sprache umformuliert werden, dass Sätze aus der Geometrie und der Topologie auf zahlentheoretische Probleme angewendet” werden könnten.
Die FAZ brauchte zwar nach der Preisverleihung fünf Tage, ihr gelang dann aber doch die beste Darstellung des Problemkreises.
Das Gebiet nennt sich „algebraische Geometrie“. Wer nun denkt, so etwas gibt es doch gar nicht, ist in guter Gesellschaft. „Es ist also nicht zulässig, beim Beweisen von einem Gebiet in ein anderes überzugehen, zum Beispiel das Geometrische mittels der Arithmetik zu beweisen“, schreibt Aristoteles in seiner „Zweiten Analytik“. Wie soll das auch gehen? Die Arithmetik ist die Lehre von den Zahlen und die Basis der Algebra, der Lehre von den Rechenoperationen. Geometrie dagegen hat mit räumlichen Objekten zu tun: Punkten, Geraden, Flächen.
[…]
Das Konzept [der perfektoiden Räume] wurde rasch von Forschern auf der ganzen Welt aufgenommen. […] Den Grund dahinter deutet Michael Harris mit dem Hinweis auf eine Analogie zwischen p-adischen Zahlen und Funktionen an, wie man sie aus der Schule kennt. Eine solche lässt sich als sogenannte Taylor-Reihe darstellen, das heißt als Summe: f(x) = a₀ + a₁x + a₂x² + a₃x³ +… mit einer für die Funktion spezifischen Folge reeller Zahlen an. Eine p-adische Zahl kann nun in einer ähnlichen Form geschrieben werden, nämlich a₀ + a₁p + a₂p² + a₃p³ +…, nur, dass die Koeffizienten an nun ganze Zahlen sind und die p die jeweilige Primzahl. „Die beiden Ausdrücke haben völlig verschiedenen Charakter“, schreibt Harris. Während x eine Variable ist und daher unendlich verschiedene Werte annehmen kann, um so eine geometrische Figur nachzuzeichnen, ist p konstant und die p-adische Formel reine Algebra. „Das Ziel der perfektoiden Geometrie“, so Harris, „ist es, die Konstante p sich wie eine Variable verhalten zu lassen. Damit kann man dann geometrische Methoden auf die p-adischen Zahlen anwenden – und von dort aus auf die übrige Zahlentheorie.“
Die Aussicht darauf beglückt die in diesem Gebiet arbeitenden Mathematiker seit Scholzes Entdeckung der perfektoiden Räume. Mit ihnen erscheint der Traum einer fundamentalen Überwindung der aristotelischen Kluft zum Greifen nah.
Mathematik sei die Kunst, verschiedene Sachen mit demselben Namen zu benennen, schrieb schon Henri Poincaré 1908 in “Wissenschaft und Methode”.
Nachtrag (9.8.): weil dieser Blog immer noch zahlreiche Leser von Google über den Suchbegriff „Perfektoider Raum“ geschickt bekommt, hier noch der Direktlink zu Scholzes Vortrag in Rio:
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